
„Zahlreiche Probleme und Fehlentwicklungen in Gesellschaft und Arbeitswelt wurden durch Corona offengelegt und oft auch beschleunigt. Es ist höchste Zeit, daran etwas zu ändern“, sagt der Wirtschaftsphilosoph Anders Indset im Gespräch mit Janice Köser, Managerin der Akademie bei der Staufen AG. Es ist nie einfach, ausgetretene Pfade zu verlassen, doch der Philosoph hat genaue Vorstellungen, wo es hingehen soll: Die Zukunft der Unternehmen muss nachhaltig und sozial gerecht werden.
Die Zukunft kann nur mit Veränderung funktionieren
Es ist Zeit, Abschied zu nehmen vom „Höher – schneller – besser – weiter“. Die Kunst, Recht zu haben, hat der Mensch in den vergangenen Jahrzehnten perfektioniert. „Was wir heute brauchen, ist die Kunst, Unrecht zu haben“, findet Anders Indset. Es gibt mehr als nur die Zuspitzung, mehr als Schwarz und Weiß. Die zahlreichen Schattierungen der hochkomplexen Gegenwart machen Neugierde, Fragen und Lernen unabdingbar.
Die Zukunft liegt laut Anders Indset in einem humanistischen Ökokapitalismus, in dem es daher auch in Unternehmen um weit mehr gehen muss als lediglich um Gewinnmaximierung: Nur wenn Unternehmen nachhaltig und sozial agieren, sind sie auch für Generationen von Enkeln und Urenkeln sinnvoll. Dafür ist eine neue Form der Wirtschaft notwendig: „Wir müssen uns reduzieren, limitieren.“
Die Quantum Economy ist nicht starr
Anders Indset spricht von der Quantum Economy (Quantenwirtschaft), wenn er an die Arbeitswelt von morgen denkt. Wirtschaft ist nicht so starr wie die Modelle, die für sie entworfen worden sind, sie ist in all ihren Verbindungen und Verknüpfungen lebendig und veränderlich. „Ich glaube schon, dass die Zukunft auch auf den Kapitalismus setzt, aber wir brauchen ein Streben nach mehr Balance, also nicht das Absolute“, erläutert der Wirtschaftsphilosoph.
Neben der Limitierung und Reduzierung sowie dem effektiven Einsatz von Ressourcen ist hier vor allem neues Denken und Fragen wichtig. Es erfordert Mut, sich mit dem Unbekannten auseinanderzusetzen, sich Neues zu trauen, aber es ist nötig: „Das ist der große Hebel, dass die Menschen sich verändern.“ Dafür bedarf es allerdings intrinsischer Motivation, das funktioniert nicht über Regeln und Steuerung.
Das Lernen an sich hat ja fast was Existenzielles: Es ist ein Teil unserer Sinngebung im Leben, zu wachsen, zu lernen.
Anders Indset, Wirtschaftsphilosoph und Publizist
„Leaving BlaBlaLand“
Corona hat ein Schlaglicht auf die Meeting-Kultur der aktuellen Arbeitswelt geworfen: Während sich vor der Pandemie zahlreiche Menschen immer wieder in Meetings getroffen und Präsentationen gelauscht haben, werden diese Meetings im Homeoffice und oft auch im Büro wegen der Abstandsregeln über Videocalls durchgeführt. Hier zeigt sich verschärft, was bereits vorher klar gewesen ist: Viele dieser (virtuellen) Treffen sind unnötig. Wenn nur eine Person redet und der Rest lediglich mit einem Ohr zuhört, den Faden verliert und oft letzten Endes nicht schlauer ist als zuvor, ist das verschenkte Lebens- und Arbeitszeit, wie der Wirtschaftsphilosoph in seinem Buch „Leaving BlaBlaLand“ verdeutlicht. Die eigentliche Arbeit kann häufig erst nach Feierabend beendet werden, weil die Meetings so viel Raum einnehmen.
„Wir sollten eine Hälfte davon vielleicht einfach aus dem Kalender streichen und die andere Hälfte nennen wir dann Co-Kreations-Treffen“, schlägt Anders Indset vor. Wenn sich alle Beteiligten auf den Austausch vorbereiten und dann gemeinsam am Projekt arbeiten, ist das viel gewinnbringender. Hierfür ist es vor allem auch wichtig, dass viel mehr Fragen gestellt werden. Oft trauen sich die Teilnehmenden nicht, Rückfragen zu stellen, die aber auch für andere wichtig wären. Das Unternehmen kann nur so erfolgreich sein wie das Projekt, das es gerade durchführt. Der Wirtschaftsphilosoph plädiert für die Trennung von Management und Technologien auf der einen Seite und Leadership als menschliche Gestaltung auf der anderen als Zukunftsmodell.
Die Ethik des Wirtschaftslebens
„Wenn wir uns ernsthaft um Gerechtigkeit und Verantwortung kümmern wollen, dann fangen wir erst mal damit an, zu definieren, was es überhaupt ist“, schlägt der Wirtschaftsphilosoph vor. Er nimmt den Klimawandel als Beispiel dafür, dass ein Problem lange bekannt sein kann, es aber einen Anreiz braucht, um ernsthaft nach Lösungen zu suchen.
Menschen benötigen intrinsische Motivation, um sich eingehend mit Problemen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist es nötig, Verantwortung zu übernehmen und an Initiativen zu arbeiten, die Werte zur Währung machen möchten. Die Komplexität des globalen Systems und die herrschende Ungleichheit machen diese Aufgabe zu einer Herausforderung.
Infiziertes Denken für eine hoffnungsvolle Zukunft
Beim unbedingten Streben nach Selbstoptimierung und dem rasanten Fortschritt bleibt keine Zeit zum Innehalten, Durchatmen und Reflektieren, bemängelt Anders Indset in seinem Buch „Das infizierte Denken“: „Es geht darum, dass nicht Corona das wirkliche Problem ist, sondern die Denkweise an sich.“ Neben vielfältigen neuen Technologien ist vor allem Vertrauen nötig – Vertrauen darin, dass wir Menschen alle voneinander abhängen und gemeinschaftlich in der Lage sind, die Herausforderungen der Gegenwart durch Denken, Lernen und Umsetzen zu meistern und eine lebenswerte Zukunft für alle zu schaffen.
Moderation

Janice Köser
Manager Academy
STAUFEN.AG
Gesprächspartner

Anders Indset
Wirtschaftsphilosoph und Publizist

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