SEW-Expertentalk – Digitalisierung in der Intralogistik

staufen magazine 2023/2024 | No. 6 | SEW-EURODRIVE GmbH & Co KG | Digitalisierung

„Eine stabile Prozesslandschaft ist unverzichtbar“ 

Die Automatisierung in der Intralogistik ist ein Zug, der nicht mehr aufzuhalten ist. Davon sind Jens Kohlhaas, Lean-Experte bei SEW-EURODRIVE, und sein Kollege Gero Bockelmann, Manager System Planning MAXOLUTION®, überzeugt. Zusammen mit Federica Kraft, Projektmanagerin bei der Staufen AG, erläutern sie, wie eine Fabrikautomation von einer Vision zum operativen Erfolg wird. 

Wo stehen die Industrie insgesamt und speziell SEW-EURODRIVE beim Thema Intralogistik 4.0? 

Kraft: Viele Industrieunternehmen beschäftigen sich bereits intensiv mit dem Thema Automatisierung und Industrie 4.0, aber bei den wenigsten ist sie flächendeckend in den Werken umgesetzt. Vor allem in der Logistik besteht ein hohes Potenzial, Prozesse durch Automatisierung effizienter und störungsfreier zu gestalten. Aufgrund der oft starken Fokussierung auf die Produktion wurde die Intralogistik, zu der hauptsächlich die Produktionsversorgung und Lagerprozesse gehören, in der Vergangenheit häufig vernachlässigt. Wir bemerken aber auch einen Wandel im Verständnis für den Wert der Intralogistik und die Bereitschaft, Prozesse zu verändern und Mitarbeitende in digitalen Skills weiterzuentwickeln.  

Kohlhaas: Bereits vor über zehn Jahren haben wir bei SEW-EURODRIVE ein Visionsbild vom Montagewerk als modulare Fabrik entwickelt. Durch diese Weiterentwicklung des Produktionssystems und die neuen Möglichkeiten im Zuge der Automation von Intralogistikabläufen ergeben sich nun völlig neue Möglichkeiten in der Prozess- und Layoutgestaltung. In Summe erreichen wir heute eine wesentlich höhere Wandelbarkeit der Produktion, mehr Flexibilität hinsichtlich der Varianten und eine gesteigerte Produktivität.  

Aber SEW-EURODRIVE setzt nicht nur im eigenen Unternehmen auf diese Lösungen, sondern führt sie auch bei Kunden ein. 

Bockelmann: Richtig, denn für uns ist Intralogistik 4.0 nicht nur ein internes Prozessthema, sondern auch ein Geschäftsfeld. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Automation in der Intralogistik ein Zug ist, der nicht mehr aufzuhalten ist. Bei unseren Projekten sehen wir aber auch, dass die Unternehmen im Hinblick auf den Automatisierungsgrad noch auf sehr unterschiedlichen Leveln stehen. 

Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch? 

Bockelmann: Je nachdem, wo das Unternehmen steht, müssen wir ganz unterschiedliche Themen angehen. Während einige Unternehmen noch punktuelle Verbesserungen vornehmen, haben andere bereits eine durchgängige Wertstromorientierung in den Prozessen verinnerlicht. Auf Kundenseite muss das Verständnis für ein übergreifendes Prozessbild oft erst noch geschaffen werden. 

Kohlhaas: Eine stabile Prozesslandschaft auf der Grundlage der schlanken Produktion ist unverzichtbar, wenn die Intralogistik automatisiert werden soll. Das Unternehmen benötigt eine Wertstromorientierung und eine gute Datenbasis, außerdem ein klares Bild, was die Zukunft bringen wird, also in welchen Bereichen man sich künftig dynamischer entwickeln möchte. 


WIR SIND FEST DAVON ÜBERZEUGT, DASS DIE AUTOMATION IN DER INTRALOGISTIK EIN ZUG IST, DER NICHT MEHR AUFZUHALTEN IST.

GERO BOCKELMANN
SEW-EURODRIVE GMBH & CO KG

Ist den Kunden immer klar, was der Schritt hin zur Automatisierung konkret bedeutet? 

Bockelmann: Wenn ein Unternehmen zum ersten Mal ein solches Projekt angeht, müssen wir es sehr gut abholen. Gemeinsam mit dem Kunden entwickeln wir ein Idealbild für die zukünftigen Prozesse. Basierend auf diesem Idealbild identifizieren wir dann gemeinsam einen sinnvollen ersten Schritt für die Transformation. Ziel ist es, einen Einstieg zu schaffen, der es dem Kunden erlaubt, Erfahrungen zu sammeln und Kompetenzen im Umgang mit der neuen Technologie zu entwickeln.  

Wie könnte eine solche Einstiegslösung aussehen? 

Kohlhaas: In unserem Elektronikwerk gibt es beispielsweise eine Anwendung, mit der die Abfallentsorgung vollautomatisch abläuft. Die Container mit den Produktionsabfällen werden mehrmals täglich von einem Logistikassistenten abgeholt, zur Müllpresse gefahren und dort automatisch entladen. Anschließend werden die leeren Behälter wieder zurückgebracht. Der gesamte Prozess läuft heute völlig unbemannt ab. 

Bockelmann: Die Steuerung eines Punkt-zu-Punkt-Systems ist am einfachsten. Der Kunde hat dann ein Bild vor Augen und kann sich in etwa vorstellen, wie es bei anderen Prozessen ablaufen wird. Bei wertschöpfenden Prozessen steigt der Komplexitätsgrad dann an. 

Wie schafft man in Unternehmen das nötige Bewusstsein und den Veränderungswillen im Hinblick auf Automatisierung und Matrixproduktion? 

Kraft: Wenn wir derzeit Logistikprozesse planen, merken wir, dass es eine große Bereitschaft zur Automation gibt. Schnell kommt die Frage auf, ob auch fahrerlose Transportfahrzeuge – sogenannte Automated Guided Vehicle (AGV) – eingesetzt werden können. Wir erklären dann, dass ein über das System gesteuertes AGV die gleichen Informationen benötigt wie ein Mitarbeitender. Wenn wir neue Prozesse und Systeme aufsetzen, wird der zweite Schritt, die Automatisierung, also gleich schon mitgedacht. 

Kohlhaas: Gemeinsam mit Staufen bieten wir ein Seminar zur Matrixproduktion in der SEW-Lernfabrik an. Dort schaffen wir das Bewusstsein, welche Anforderungen an Planung, Steuerung und Betrieb einer modularen Fabrik gestellt werden. Die Veranstaltung wendet sich explizit an Praktikerinnen und Praktiker aus dem Produktionsumfeld. Ähnlich, wie wir vor rund 20 Jahren die Einführung des One-piece-flow mit Schulungen begleitet haben, schulen wir dabei auch unsere Mitarbeitenden auf diese Weiterentwicklung des Produktionssystems. 

Was sind aus Ihrer Sicht die großen Vorteile der Automatisierung in der Intralogistik? 

Bockelmann: Aus technischer Sicht steigt die Qualität der Transporte beim Umstieg auf AGVs. Automatisierte Systeme bringen Ruhe rein. Arbeitsunfälle, die durch händische Transporte verursacht werden, nehmen ab, wenn Stapler und Routenzüge aus den Fabriken entfernt werden. Zudem schafft der Einsatz mehr Transparenz: Bei einem AGV weiß ich immer, wo mein Werkstück gerade unterwegs ist. 

Kohlhaas: Es gibt ganz klare Kostenvorteile; ein Roboter arbeitet 24 Stunden und nimmt keinen Urlaub. Durch die Matrixproduktion wird die Fabrik zudem wandelbarer. Wenn ich früher ein komplettes Montageband umgestalten musste, so kann ich heute neue Prozesse über das Hinzufügen eines weiteren Prozessmoduls flexibel in meine Produktion integrieren. 

Kraft: Häufig wird der Wunsch nach Automatisierung durch den Fachkräftemangel getrieben. Viele Unternehmen sind schon heute gezwungen, mit weniger Personal auszukommen. Zusätzlich kann ein Unternehmen die Automatisierung aber auch als Wettbewerbsvorteil im Rennen um die besten Talente nutzen. Denn junge Menschen erwarten schichtweg digitale und smarte Prozesse an ihrem Arbeitsplatz. 

Wie kann man den Erfolg der Automatisierung messbar machen? 

Bockelmann: Indem man ein Zielbild definiert. Am Anfang muss sich das Unternehmen fragen, wie tief die Automatisierung gehen soll, etwa: Welche wertschöpfenden Tätigkeiten will ich unterstützen? Welche nicht wertschöpfenden Prozesse will ich komplett automatisieren?  

Wie wichtig ist es, die Mitarbeitenden mitzunehmen? 

Kohlhaas: Die Einbindung der Mitarbeitenden in Veränderungsprozesse ist und bleibt insbesondere im direkten Bereich ein absolut kritischer Erfolgsfaktor. Dazu gehören bei uns die Arbeit in multifunktionalen Teams, die gemeinsame Ist-Analyse und Konzeptentwicklung in jedem Projekt. Nur so gelingt es, Betroffene zu Beteiligten zu machen und die Dynamik im Projekt zu halten. 

Kraft: Viele Mitarbeitende sind beim Thema Automatisierung immer noch skeptisch. Deshalb ist es wichtig, die Prozesse gemeinsam mit den Menschen zu planen und transparent zu kommunizieren, welche neuen Rollen sie erhalten und wie sich ihre Aufgaben künftig verändern werden. 

Seminare bei SEW-EUrodrive

Die SEW-EURODRIVE GmbH & Co KG ist ein inhabergeführtes Familienunternehmen mit Hauptsitz in Bruchsal und produziert seit über 90 Jahren Getriebe, Motoren, Getriebemotoren sowie Umrichtertechnik in verschiedenen Baugrößen. SEW setzt neue Maßstäbe in der Gestaltung effizienter Fabriken und einer stetigen Weiterentwicklung der eigenen Produktionssysteme.

Interviewpartner*innen

Portrait Jens Kohlhaas

Jens Kohlhaas

Business Process Consultant

WIEPROconsulting – Processmanagement SEW-EURODRIVE GmbH & Co KG

Gero Bockelmann

Manager System Planning – MAXOLUTION®

SEW-EURODRIVE GmbH & Co KG

Federica Kraft

Project Manager

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