Mit der Veröffentlichung von ChatGPT hat die künstliche Intelligenz die große Bühne betreten, um die nächste Runde der Digitalisierung einzuläuten – auch in der Produktion. Für viele mittelständische Industrieunternehmen ist das (noch) eine große Herausforderung. Es fehlt an Vision und Strategie. Der Staufen C-Day machte Mut und zeigte, bei welchen Anwendungen KI sinnvoll ist und worauf es jetzt ankommt.
Wird KI die nächste große Kränkung der Menschheit? Kratzt sie an unserem Ego, weil sie schneller, genauer und vor allem kostengünstiger arbeitet als wir? Diese provokante Frage stellte Prof. Dr.-Ing. Marco Huber vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. Das wirtschaftliche Potenzial der Technologie sei enorm, so der Wissenschaftler. Allein in Deutschland werde durch KI bis zum Jahr 2030 ein zusätzliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 430 Milliarden Euro* erwartet.
Im produzierenden Gewerbe erhoffen sich die Unternehmen vor allem geringere Kosten im Lager und in den indirekten Bereichen, schnellere Markteinführungen, eine bessere Auslastung der Fabriken und weniger Ausschuss. Bislang, so Huber, gebe es jedoch nur wenige KI-Anwendungen in der Produktion. Dabei gehe es vor allem um maschinelles Lernen, also das Lernen aus Mustern in Daten.
Maschinelles Lernen in der Produktion
Anwendungsfälle für maschinelles Lernen im Produktionsprozess sind beispielsweise die Bewertung des Verschleißgrads kritischer Bauteile oder die KI-gestützte visuelle Inspektion, die die manuelle Nachprüfung elektronischer Bauteile drastisch verringert. Maschinelles Lernen kann aber auch zur Konfiguration von Produktionsanlagen genutzt werden. In vielen großen Unternehmen ist das bereits ein Thema. „Jede Maschine hat eine Vielzahl von Parametern, die eingestellt werden müssen, damit der Produktionsprozess möglichst optimal läuft. Das machen Menschen mit viel Erfahrungswissen, aber es wird wahrscheinlich nie optimal sein“, sagte KI-Experte Huber. Der Einsatz von KI ermögliche die Entwicklung sogenannter Assistenzsysteme, bei denen den Mitarbeitenden auf der Basis der Produktionsdaten Parameter vorgeschlagen werden und der Mensch letztlich die Entscheidung trifft. Eine noch weiter gehende Möglichkeit sei die autonome Optimierung von Maschinenparametern. Allen Führungskräften, die über die Einführung von KI im eigenen Unternehmen nachdenken, riet er, mit kleinen, überschaubaren Projekten zu beginnen. Wichtig seien vor allem die Daten: „Wenn Sie keine guten Daten haben, können Sie das mit der KI auch gleich sein lassen.“
Wenn Sie keine guten Daten haben, können Sie das mit der KI auch gleich sein lassen.
Prof. Dr.-Ing. Marco Huber,
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
KI im Unternehmen braucht eine klare Ansage von oben
Joachim Franz, Automotive Industry Lead bei Microsoft Deutschland, sprach auf dem C-Day von einer Zeitenwende in der Industrie. KI werde alle Bereiche der Wertschöpfung beeinflussen, nicht nur die Fertigung. Im produzierenden Gewerbe sei Predictive Maintenance der Top-Anwendungsfall für KI, weil die Technologie helfe, ungewollte Stillstände zu vermeiden. Für Predictive Maintenance müssten Unternehmen die Daten aus vernetzten Fertigungsanlagen kontinuierlich sammeln und speichern. Eine Analyse dieser Daten erlaube es, Fehler, deren Ursachen und mögliche Muster zu erkennen, so Franz. Bei Abweichungen würden Mitarbeitende dann automatisch alarmiert, um notwendige Wartungsaktionen entweder sofort oder geplant umzusetzen.
Wie Fraunhofer-Forscher Huber betonte auch Joachim Franz, dass die Basis für KI ein robuster Datenbestand sei. Die Einführung von KI sei ein mehrstufiger Prozess, den Unternehmen gezielt durchlaufen sollten: „Am Anfang steht eine klare Strategie.“ Da es keinen Sinn mache, alle Daten zu sammeln, sollten sich Unternehmen auf spezielle Anwendungsfälle festlegen. „Starten Sie klein und gehen Sie agil vor“, riet der Microsoft-Manager. Zudem sei Data Governance enorm wichtig, also die Einführung von Richtlinien und Standards, etwa für den Datenaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg oder zum Thema Nachhaltigkeit. Joachim Franz: „In der KI schlummert ein enormes Potenzial, aber die Nutzung muss ‚von oben‘ gewollt sein. Deshalb braucht es eine C-Level-Ansage, um das Unternehmen auf die Reise zu schicken.“
*Studie von PWC 2019