Warum wir nicht nur das Verfahren selbst, sondern auch die Bedingungen und Grenzen für seinen Einsatz genau kennen sollten.
Die These, dass wir uns regelmäßig in einem Umfeld betrieblicher Veränderungsprozesse befinden, darf als gesichert angesehen werden. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, meine sehr geehrten Leserinnen und Leser, aber treffen Sie nicht auch öfter mal auf Menschen, die ein wenig resigniert davon sprechen, dass schon wieder eine „neue Sau durchs Dorf“ getrieben werde? Man habe das alles schon einmal erlebt und frage sich, was denn nun neu an der aktuellen Initiative sei. Außerdem – und das sei besonders stressig – habe sich das vorhergehende Konzept ja noch gar nicht im gesamten Unternehmen verbreiten können. Die Ergebnisse seien bis jetzt in vielen Bereichen dürftig und es entstehe der Eindruck, das gleiche Ziel solle lediglich unter anderem Vorzeichen verfolgt werden, tatsächlich aber „stochere man im Nebel“. Die neue Initiative gerate zur Geschmacksfrage des Managements. Man tue es, weil auch der Wettbewerb vor Kurzem damit angefangen habe. Manchmal wünsche man sich, dass diese „Modewellen“ nun endlich mal aufhören würden. Es sei doch alles gesagt – wenn auch noch nicht von jedem.
Ähnlich argumentiert der Wissenschaftshistoriker und Soziologe Stefan Kühl. Er vertritt sogar die These, dass sich seit den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts keine neuen wesentlichen Ideen zur Strukturierung postbürokratischer Organisationen mehr ergeben hätten. Alles sei schon mal dagewesen und werde nur immer wieder mit neuem Namen erfunden. Erkennen Sie die Situation wieder?
Nun gibt es viele Gründe, eine neue Methode anzuwenden. Sie reichen vom Eigenmarketing bis zum Erkenntnisgewinn, und manchmal macht es auch einfach Spaß, etwas Neues auszuprobieren, wenn das Risiko gering ist. Doch dieser Spaß bei der Anwendung sollte uns nicht die Fragen nach den Kriterien und den Gründen für die Methode und ihre Eignung für die Zielerreichung vergessen lassen. Warum und wann wir eine Methode anzuwenden haben, erklärt uns die Methodologie. Genau das wird häufig übersehen. Wenn das Toyota-Produktionssystem keine hinreichende Wirkung entfalten konnte, dann oft deshalb, weil die ihm inhärente Methodologie übersehen wurde. Besonders wenn es um die Veränderung von technischen Abläufen geht, ist der Einsatz einer Methode nicht nur unmittelbar zweckgebunden, sondern auch Teil eines umfangreichen Methodengebäudes. Das bedeutet, dass für den Einsatz einer Methode gewisse Voraussetzungen unabdingbar sind. Überdies sind Methoden in ihrer Wirkung grundsätzlich begrenzt.
Jede Methode, die den Wertstrom verschlanken soll, benötigt gewisse Voraussetzungen, damit sie wirksam sein kann.
Frank Krause
partner, staufen.ag
Wo spielt dieser Grundsatz bei der Transformation zum schlanken Unternehmen eine Rolle? Ich erinnere mich an die ersten Jahre des „Lean Movement“. Begeistert von Kanban kam ich Mitte der Neunzigerjahre von meinen Studienreisen aus Japan zurück und begann sofort auf jeden verfügbaren Behälter bunte Zettel zu kleben. Wenig später erkannte ich, dass die Materialnachschubsteuerung nicht so funktionierte wie erhofft. Wir studierten die Regeln zur Einführung von Kanban, und so langsam sickerte die Erkenntnis durch, dass man vielleicht zuerst die Prozesse hätte stabilisieren sollen, ja selbst den Verkettungsgrad hätte höher treiben sollen – dann wäre einem vielleicht so mancher Kanban-Regelkreis erspart geblieben. Heute – nach 30 Jahren Lean-Bewegung – rufen solche Anekdoten nur noch ein Lächeln hervor, denn wir wissen: Jede Methode, die den Wertstrom verschlanken soll, benötigt gewisse Voraussetzungen, damit sie wirksam sein kann. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben oder – noch schlechter – werden sie bewusst nicht geschaffen, dann wird sich kein nachhaltiger Erfolg einstellen. Trivial!, werden Sie nun denken.
Nicht ganz, wende ich ein und erinnere an die vier Merkmale eines schlanken Systems, die durch sich gegenseitig bedingende Methoden erzeugt werden und in einer bestimmten Reihenfolge anzuwenden sind.
So macht es keinen Sinn, mit Vehemenz die (Auf-)Forderung zur Verkettung zu ignorieren und sich dann später über schlechte Austaktungsgüten und schwankende Durchlaufzeiten zu wundern. Für Verkettung ist Prozessstabilität eine unverzichtbare Bedingung, so wie für die Austaktung die Verkettung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt.
Erkennen Sie die Botschaft? Oft haben Unternehmen bezüglich einer Anwendung nur den unmittelbaren Zweck im Blick, das ist aber zu kurz gesprungen. Denn dann wird übersehen, dass das Folgen für den Projektablauf hat. Im nächsten Teilschritt des Projekts ist voraussichtlich der Einsatz einer Folgemethode – Sie können sie auch Aufbaumethode nennen – erforderlich. Dies muss von Anfang an mitbedacht werden, sonst ist der Projekterfolg gefährdet und die Glaubwürdigkeit der gesamten Initiative steht auf dem Spiel. Und das alles nur, weil man nicht bereit war, die nächste „Hürde“ zu nehmen.
Ein schlanker Wertstrom erfordert im Ideal die Verkettung aller Prozesse. Hier sollten Sie alles tun, dass Verkettung möglich ist, denn sie stabilisiert den Umsetzungsdruck in Richtung Problemlösung und erhöht die Störungsfreiheit.
In solchen Momenten zeigt sich auch, inwieweit die „Drehung der Pyramide“ schon gelungen ist. Diese Metapher steht für das überfunktionale Engagement aller Funktionen. Jede wird daran gemessen, was sie zur Verschlankung des Wertstromes beitragen kann. Erst wenn die Bedingung der kleinstmöglichen Nähe aller Prozesse zueinander erfüllt ist, macht es Sinn, über Austaktung nachzudenken. Niemand würde versuchen, Prozesse in einen gemeinsamen Rhythmus zu bringen, wenn sie 10 Meter auseinander liegen. Halten wir also fest: Jede Methode benötigt Voraussetzungen (Bedingungen), um wirken zu können. Methodengebäude wie das Toyota-Produktionssystem wirken nur, wenn die Voraussetzungen stimmen, also die Methodologie von allen Funktionsvertreterinnen und -vertretern im Unternehmen beachtet wird. Sie ist genauso wichtig für den Projekterfolg wie die Kompetenz bezüglich einzelner Methoden.
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Podcast Episoden mit Frank Krause
Begleiten Sie Frank Krause, Partner bei der Staufen AG, in seiner Podcast-Serie ‚Denkanstoß‘ auf seinem Weg durch den Themendschungel, welcher ihm in seinem Berateralltag begegnet und lassen Sie sich anregen, Ihr Verständnis zu ausgesuchten Fragestellungen zu überprüfen. Er lädt Sie dazu ein, mit ihm gemeinsam über aktuelle Begriffe, Themen und Ideen nachzudenken. Metaphorisch gesprochen, den Wald und seine Bäume erkennen, das ist das Ziel der Podcast-Reihe.
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