„Es geht vor allem um Sicherheit“
In einer ehemaligen Druckerei in Neu-Isenburg, nur wenige Kilometer vom Frankfurter Flughafen entfernt, entwickelt der Luft- und Raumfahrtkonzern Boeing elektronische Produkte und Dienstleistungen. Prof. Dr.-Ing. Jens Schiefele leitet dort das deutsche Innovationszentrum des US-Unternehmens. Im Interview schildert er, wie sich der Bereich in den vergangenen 25 Jahren digital transformiert hat.
Im Interview mit Prof. Dr.-Ing. Jens Schiefele, Director Digital Aviation Research & Rapid Development / Managing Director bei der Jeppesen GmbH
Herr Schiefele, vor der Halle steht die Statue von Captain Elrey B. Jeppesen – was verbindet Jeppesen mit Boeing?
Schiefele: Mit Captain Jeppesen hat alles begonnen: Er entwickelte seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Instrumentenflugkarten, damit Piloten und Passagiere ihre Ziele sicher erreichten. 1957 eröffnete er das erste Büro in Deutschland. Damals wurden die Karten noch gedruckt, und zwar in der Halle, in der heute das Digital Innovation Lab untergebracht ist. Seit Ende der 50er-Jahre wurde die Firma Jeppesen in Deutschland kontinuierlich erweitert und ist seit dem Jahr 2000 eine Boeing-Tochter.
Aber digitale Karten sind nicht die einzigen Produkte, die in Frankfurt entwickelt werden?
Schiefele: Nein, der Bereich Boeing Digital Solutions in Deutschland hat bereits Produkte wie den elektronischen Pilotenkoffer oder das Cockpitassistenzsystem Airport Moving Map entwickelt. Heute entwickeln wir Analytics-Software zur Optimierung von Airlines Operations. Unser Ziel ist es, die Kunden mit effizienten Services bei der Digitalisierung und Vernetzung zu unterstützen.
Prof. Dr.-Ing Jens Schiefele
Director Digital Aviation Research & Rapid Development/Managing Director
Jeppesen GmbH
Prof. Dr.-Ing Jens Schiefele
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Durch die Digitalisierung hat sich der Frankfurter Standort von Boeing ebenfalls massiv verändert, auch wenn die Druckereihalle noch steht. Sie waren von Anfang an dabei: Wann hat die Transformation begonnen?
Schiefele: Die hat bereits vor rund 25 Jahren begonnen. Damals hat der CEO erkannt, dass digital die Zukunft ist und nicht mehr das Papier. Wir haben dann eine Softwareabteilung aufgebaut und begonnen, die Karten zu digitalisieren. Zunächst griffen zwar nur wenige Airlines diese Möglichkeit auf, aber der CEO ließ sich nicht beirren und verfolgte weiter konsequent die Digitalisierungsstrategie.
Dann kam 2010 das erste iPad und der Markt explodierte förmlich. Nach zwei bis drei Jahren hatten 70 Prozent der Airlines damit begonnen, zu unseren digitalen Produkten zu wechseln. Heute gibt es nur noch digitale Karten. So sparen wir einiges Gewicht an Bord und ermöglichen es den Besatzungen, schnell auf eine Vielzahl digitalisierter Flugkarten zuzugreifen. Inzwischen hat sich die Transformation bis ins Boeing Digital Solutions Board ausgedehnt: Heute haben wir den ersten CEO und ein gesamtes Leadership-Team mit „digitalem“ Background.
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Organisation und die Kultur im Unternehmen aus?
Schiefele: Früher war die klassische Produktion prozessgebunden und klar umrissen. Es wurde nicht vom Prozess abgewichen, um die Qualität zu sichern. Noch immer gibt es Bereiche, die so arbeiten müssen. Aber speziell hier im Innovation Lab liegt der Fokus auf Kreativität und Schnelligkeit. Die Ingenieur*innen pflegen eine offene, integrative Kultur mit flachen Hierarchien. Fehler sind erlaubt und werden korrigiert. Sie arbeiten in sogenannten „self-managed Teams“. Jedes Team wird von den Mitarbeitenden selbst zusammengestellt und entscheidet, wie es arbeitet. Unsere Kultur der Offenheit spiegelt sich auch in der Halle wider, davon konnten sich die Teilnehmenden der BestPractice-Tour von Staufen ja bereits ein Bild machen: Offenheit, Transparenz und flache Hierarchien sind uns überaus wichtig. Aber trotz dieser typischen „Start-up-Kultur“ legen wir großen Wert auf die Qualität unserer digitalen Produkte. Denn schließlich geht es in unserer Industrie vor allem um Sicherheit.
Wie geht es weiter am Boeing-Standort Frankfurt?
Schiefele: Digitalisierung und Vernetzung in der Luftfahrt gehen weiter. Aktuell arbeiten wir unter anderem an smarten Kabinen, bei denen zum Beispiel das Essen per Handy bestellt wird. Auch Air-Taxis, die Passagiere in Städten oder zu Flughäfen transportieren, und Flugzeuge mit reduzierter Crew sind ein Thema. Als Teil von Boeing haben wir die Möglichkeit, Dinge zu tun, die wir als Jeppesen nicht hätten tun können.
das unternehmen
Jeppesen wurde 1934 als eines der ersten Unternehmen gegründet, die Navigationskarten für Pilot*innen anboten. Heute ist das Unternehmen eine Tochtergesellschaft von Boeing. Am deutschen Standort von Jeppesen in Neu-Isenburg sind rund 470 Mitarbeitende beschäftigt. Jeppesen unterstützt Airlines weltweit dabei, ihre Ziele sicher und effizient zu erreichen. Auf der Grundlage dieser Erfahrung bietet Jeppesen heute ein stetig wachsendes Angebot an innovativen digitalen Lösungen, Informationsprodukten, Dienstleistungen und Softwarelösungen an.
1934
gegründet
470
mitarbeitende in Neu-Isenburg
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