Den Carbon Footprint in der Lieferkette verfolgen

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STAUFEN MAGAZINE 2022 | No. 5 | Hochschule Pforzheim | Supply Chain Network Management

Das Thema Klimaschutz wird von der produzierenden Wirtschaft inzwischen sehr ernst genommen. Dazu tragen die politischen Klimaschutzziele auf globaler und nationaler Ebene bei. Aber auch der Markt verlangt immer mehr Rechenschaft über die Klimarelevanz der Produkte und Unternehmen. Am deutlichsten wird das durch die Ankündigung vieler großer Konzerne, in den nächsten Jahren eine sogenannte Klimaneutralität anzustreben. Dazu werden auch die Zulieferbetriebe in die Pflicht genommen. Das fängt an bei der Abfrage, wie die Bilanz an Treibhausgasemissionen aussieht, und geht weiter über Pläne, wie diese Emissionen gesenkt werden sollen. Zahlen und geeignete Maßnahmen – darum wird sich die Diskussion in den nächsten Jahren drehen. 

Doch schon bei den Zahlen wird es schwierig. Das sogenannte Greenhouse Gas Protocol, eine Initiative verschiedener Nichtregierungsorganisationen, ist inzwischen zum Standard dafür geworden, wie die Treibhausgasemissionen eines Unternehmens zu bilanzieren sind. Nicht alles davon ist sinnvoll oder hat sich bewährt. Aber die Grundzüge finden weltweit Anwendung. So werden unter den Scope-1-Emissionen die direkten Emissionen an Treibhausgasen – allen voran Kohlendioxid – verstanden, also an den Standorten der Unternehmen. Diese lassen sich am einfachsten ermitteln, denn sie errechnen sich meistens aus dem Verbrauch fossiler Energieträger. 

Die Scope-2-Emissionen sind mittelbar mit dem externen Bezug von Energie verbunden, insbesondere von elektrischem Strom. Hier wird die Bilanz schon schwieriger: Rechnet man mit den Angaben der Energieversorger oder mit den nationalen Durchschnittswerten, dem sogenannten Strommix? Für beides gibt es gute Argumente bzw. gegen beides gibt es Einwände. Unternehmen haben aber am meisten Probleme mit der Bilanzierung der sonstigen Emissionen, z. B. in der Lieferkette oder in der Nutzungsphase von Produkten. Sie werden als Scope-3-Emissionen bezeichnet. Bei den nachgelagerten Emissionen kommt man um einen Product Carbon Footprint (PCF) nicht herum, der dann auch die Nutzungs- und Entsorgungsphase einbezieht. Das kann seriös nur für Einzelfälle erstellt werden und ist eine Wissenschaft für sich. Deshalb gibt es hierzu auch eigene Standards, z. B. die ISO EN DIN 14067. 

Greenhouse Gas Protocol
© Greenhouse Gas Protocol
Portrait Mario Schmitt

MARIO SCHMIDT
Physiker, Umweltwissenschaftler und Professor für ökologische Unternehmensführung, Hochschule Pforzheim

Er leitet das Institut für Industrial Ecology (INEC) und ist Mitglied in zahlreichen Kommissionen rund um die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Ressourceneffizienz. 

Große Emissionen treten meist dort auf, wo die Rohstoffe im fernen Ausland gewonnen werden 

Bei der Lieferkette stellt sich hingegen das Problem, dass Auskunft bei oft Hunderten oder bei großen Unternehmen sogar Tausenden von Zulieferern eingeholt werden muss, und das im internationalen Rahmen. Doch dann hätte man nur die Zahlen der direkten Zulieferer, also Tier-1. Was ist aber mit der vorgelagerten Lieferkette bis zu ihrem Ende? Diese Daten entziehen sich jeder praktischen Erhebung, sind aber hochrelevant, denn die großen Emissionsbeiträge treten meistens dort auf, wo die Rohstoffe im fernen Ausland gewonnen und verarbeitet werden, oft mit mäßig effizienter Technologie und unter Einsatz von fossilen Energieträgern. 

Doch es gibt Methoden, die Emissionen in der Lieferkette abzuschätzen. Dazu bedient man sich internationaler Handelsdaten und länderspezifischer Emissionsbilanzen. Das Institut für Industrial Ecology an der Hochschule Pforzheim hat zusammen mit der Hamburger Beratungsfirma Systain und dem Karlsruher Thinktank Industrielle Ressourcenstrategien ein kostenloses webbasiertes Tool entwickelt, mit dem die Emissionen in der Lieferkette einfach ermittelt werden können. Der „scope3analyzer“ ist seit dem Frühjahr 2022 freigeschaltet. Das Tool wurde mit Mittel der Landesregierung Baden-Württemberg gefördert. 

Beim scope3analyzer gibt ein Unternehmen das Einkaufsvolumen, unterteilt nach verschiedenen Gütergruppen und Herkunftsländer, in Euro an. Das Tool errechnet dann die Emissionen, die weltweit in der Lieferkette auftreten. Die eingegebenen Daten bleiben anonym und werden nicht abgespeichert, denn Einkaufsdaten sind für Unternehmen besonders vertraulich. Deshalb können Unternehmen auch skalierte Einkaufsdaten angeben, sodass die absoluten Werte das Unternehmen nicht verlassen müssen. Die eingekauften Güter werden ohnehin zu Gütergruppen zusammengefasst und lassen sich im Einzelfall nicht mehr identifizieren. 

Die Berechnung der Emissionen in der Lieferkette erfolgt mit Durchschnittswerten für die Gütergruppen aus den jeweiligen Ländern und bildet natürlich nicht die echte Lieferkette eines Unternehmens ab. Aber die Zahlen dienen als gute Abschätzung und Hotspot-Analyse, mit der schon viele Schlussfolgerungen möglich sind, z. B. ob man bestimmte Rohstoffe oder Vorprodukte in Zukunft aus anderen Ländern beziehen sollte. Mit diesen Fragen werden sich die Einkaufsabteilungen von Unternehmen zunehmend befassen müssen. 

Noch genauere Abschätzungen erhielte man, wenn auch die Lieferanten den scope3analyzer für ihre Bilanz einsetzen würden. Denn sie würden dann ihre Scope-1- und -2-Emissionen genau ermitteln, nur ihre Lieferkette würde wieder mit Durchschnittswerten abgeschätzt werden. So könnte man in der Lieferkette immer tiefer absteigen und hätte irgendwann sogar die exakte Scope-3-Emissionsbilanz. Deshalb wird das Tool sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch angeboten. 

scope³ analyzer Screenshot INEC
scope³ analyzer

Nach der Bilanzierung beginnt die eigentliche Arbeit: Die Reduzierung der Emissionen 

Doch nach der Bilanzierung beginnt die eigentliche Arbeit erst, nämlich die Reduzierung der Emissionen. Monetäre Kompensationen oder der bloße Bezug grünen Stroms, dessen Herkunft oft zweifelhaft ist, sind auf Dauer keine Lösung. Auf längere Sicht sinnvoll ist nur der Wechsel zu energie- und materialeffizienten Technologien, zu regenerativen Energien und zu emissionsarmen Vorprodukten. Hier kann jedes Unternehmen einen eigenen Beitrag leisten. 

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