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Warum scheitert Führung? 

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Oktober 4, 2022 | Leadership und Organisationsentwicklung

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich treffe in letzter Zeit wieder öfter auf Menschen, die mir sagen: „Mit dem Thema Führung, Herr Krause, habe ich immer mehr Schwierigkeiten.“ Denn an Führungskräfte werden widersprüchliche Anforderungen gestellt. Sie sollen einerseits Regeln durchsetzen und andererseits Freiheit gewähren und Kreativität fördern. Wenn es ganz extrem wird, dann wird ihnen erzählt, dass Führung in der zukünftigen Arbeitswelt sowieso nur noch eine geringe Bedeutung haben wird. Bevor wir jedoch der Führung ihre Daseinsberechtigung vorschnell aberkennen, fragen wir uns zuerst: Woran scheitert Führung? 

Eine Antwort lautet: Es liegt an den inhärenten Paradoxien von Führung. Gemeint sind damit unvereinbare Gegenpole („Dualitäten“), die die Führungskräfte vor ein Dilemma stellen. Führungsdilemmata entstehen, weil eine Dualität grundsätzlich gegensätzliche, als unvereinbar empfundene Ansprüche an die Führungskraft stellt, und jede Führungssituation erfordert dann eine situative Auflösung dieser Widersprüche. Deutlich werden diese Widerspruchspaare immer dann, wenn sich die Ziele – und die sich daraus ergebenden Ansprüche – für die Mitarbeitenden logisch widersprechen. Auf diese Widersprüche soll im Folgenden eingegangen werden. Kommen wir also zu der ersten Paradoxie: 

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Führung steuert den Wechsel zwischen Standards und Veränderung 

Ohne Standards gibt es keine Verbesserung, heißt ein viel zitierter Satz. Welche Dialektik hinter dem Postulat steht, wird mit einer Analogie klar. Mit Veränderung ist es wie mit Reibung: Die wenigsten wollen sie und trotzdem benötigen wir sie, um uns auf der Erde fortzubewegen. 

Standards stehen für Stabilität, für Zuverlässigkeit und Fehlerfreiheit. Werden die Standards aber nicht mehr verändert, kann keine Verbesserung mehr stattfinden. Veränderung erzeugt zunächst Instabilität, Unzuverlässigkeit und Fehleranfälligkeit. Unser Gehirn (und unsere Psyche) funktioniert energieeffizient. Veränderung bedeutet Aufwand – ein Grund, warum wir nicht gerne umlernen. Veränderung bedroht im Zweifelsfall unsere Identität. Wir weichen deshalb nicht so gerne von unserem Standard ab. Trotzdem ist die fremdgesteuerte Anregung zur Verbesserung des Standards notwendig. Denn Fortschritt ist nur so möglich. 

Führung ist die Organisation von Wandel. Wandel organisieren bedeutet stabile und instabile Phasen bewusst abwechseln. Somit macht es keinen Sinn, sich nur für die Veränderung oder nur für die Bewahrung bzw. Konsolidierung entscheiden zu wollen. Beide Phasen sind abzuwechseln, wobei jede Organisation hier ihren eigenen Rhythmus finden muss. 

Führung unterstützt Selbstbestimmung und Fremdbestimmung 

„Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Mit diesen Worten forderte einst Immanuel Kant den Menschen auf, sich aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Er warb für ein selbstbestimmtes Leben und den Mut, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Das Erleben von Selbstbestimmung und -wirksamkeit ist ein universales psychisches Grundbedürfnis*. Kommen wir ihm nach, erleben wir, dass wir Herausforderungen erfolgreich bewältigen können. Der Arbeitsalltag ist gekennzeichnet durch das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung (Autonomie) und Fremdgesetzlichkeit (Heteronomie). Es beginnt bereits mit der Unterschrift unter den Arbeitsvertrag. Zu diesem Zeitpunkt gibt der / die Mitarbeitende bereits einen Teil der Autonomie ab. Formale und informale Regeln bilden den Rahmen der Zusammenarbeit und vermeiden Transaktionskosten. Trotzdem wünschen sich Führungskräfte Mitarbeitende, die produktiv gegen die Routine denken, und keine bloßen „Ja-Sager“. Loyalität zeigt sich hier durch kritische Treue. Es gilt die Regel: so viel Autonomie wie möglich, so viel Heteronomie wie nötig

Führung ermöglicht Lernen, obwohl Lernen oft kein Spaß macht 

Dass Führungskräfte mehrere Rollen einnehmen sollen, ist nicht neu. Dass sie zuweilen in der Rolle des Mentors, der Mentorin gefragt sind, wenn es darum geht, den Mitarbeitenden etwas zu erklären, sie während eines Gedankenexperiments anzuleiten, bereitet oft Unbehagen auf beiden Seiten. Wann ist es das letzte Mal vorgekommen, dass sich Führungskraft und Mitarbeitende so intensiv auseinandergesetzt haben, dass sie beide etwas gelernt haben? Lernen ist nicht (nur) die Fähigkeit, Wissen anzusammeln. Dies wäre eher ein Beweis für die eigene Merkfähigkeit und Aufnahmekapazität und nicht für die Fähigkeit, einen Sachverhalt zu verstehen. Dem Lernen geht der Irrtum voraus. Aber wer irrt schon gerne? Wer fühlt sich nach einem begangenen Irrtum gut? Wie realisiert ein Mensch den Moment, in dem ihm seine Inkompetenz bewusst wird? Niemand irrt gerne – schon gar nicht, wenn es die Umwelt sofort registriert. Werden Menschen von außen mit ihrer eigenen Inkompetenz konfrontiert, ist selten Freude mit im Spiel. Doch es gilt die Regel: Nur aus Irrtümern lernen wir. Auch hier wird der Widerspruch erkennbar: Einerseits wissen wir, dass Irrtum notwendig ist, andererseits wollen wir ihn nicht erleben. Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihre Mitarbeitenden keinen Spaß daran haben, dass sie sich der Möglichkeit des Irrens aussetzen sollen.  


Führung definiert sich als verantwortete Vermittlung zwischen Systeminteressen und individuellen Bedürfnissen – und sie besitzt dabei einen Machtüberschuss.

Frank Krause
Senior Partner, STAUFEN.AG

Führung wirkt durch Nähe und Distanz 

Die Beziehung zwischen Vorgesetztem bzw. Vorgesetzter und Mitarbeitenden steht im Widerspruch von menschlicher Nähe und professioneller Distanz. Hier kommt es weniger auf den physischen Abstand zwischen den beiden Gesprächspartner*innen an als auf die Art und Weise, wie Führungskräfte und Mitarbeitende miteinander reden. Wie sich der Widerspruch auflöst, entscheidet also die Kommunikation. Nähe entsteht durch Kommunikation dann, wenn wir anderen durch unsere Worte Bedeutung geben, an ihnen persönlich interessiert sind. Wenn wir hingegen durch unsere Kommunikation zu verstehen geben, dass wir in unserem Gegenüber – oft unbewusst – nur dessen Brauchbarkeit sehen, dann überwiegt der funktionale gegenüber dem personalen Anteil und es entsteht Distanz. Niemand möchte auf seine Verwendbarkeit reduziert werden, nur ein „Rad im Getriebe“ sein. Wertschätzung von Person und Funktion sind also gleich wichtig. 


Kommen wir zurück zu der Vermutung vom Anfang: Wird in der zukünftigen Arbeitswelt Führung eine geringe Bedeutung haben? Die Antwort lautet: Nein! Im Gegenteil! Der neue Trend, man solle sich als Orientierungsgeber*in gegenüber dem Team doch zurückhalten, der gelegentlich sogar in der Behauptung gipfelt, die Führungskraft müsse nicht mehr so genau wissen, worum es sich handele, der / die autonome Mitarbeitende wisse es besser und solle am besten selbst entscheiden, dieser Trend ist gerade in Krisenzeiten gefährlich. Denn Führung definiert sich als verantwortete Vermittlung zwischen Systeminteressen und individuellen Bedürfnissen – und sie besitzt dabei einen Machtüberschuss.

Für Mentor*innen gilt besonders: Wer seine Mitarbeitenden zum Lernen einladen und fördern möchte, der sollte fachlich und menschlich an ihnen interessiert sein und einschätzen können, wie sie am besten lernen. 

Diejenigen, die das Recht auf Autonomie und Selbstführung verabsolutieren, ignorieren die Tatsache, dass alle Mitarbeitenden in ein (Unternehmens-)System eingebunden sind und sich somit gegensätzliche Interessen gegenüberstehen können. Der Ausgleich dieser Interessen erfordert einen Vertreter, eine Vertreterin. Sie ahnen es schon und Sie haben recht: Die Führungskraft übernimmt diese Aufgabe. 

* Edward L. Deci, & Richard M. Ryan (2008): Self-Determination Theory: A Macrotheory of Human Motivation, Development, and Health, S. 183. In: Canadian Psychology 49, 182–185. 

Autor
RGB

Frank Krause

Partner

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