Was macht den langfristigen Erfolg von Unternehmen aus? Warum brauchen wir mehr Mut? Wie können Unternehmen ihre Mitarbeitenden langfristig motivieren? Darüber sprechen wir mit Marc Gassert, Kommunikationswissenschaftler und Kampfkunstmeister, auch bekannt als der „blonde Shaolin“.
Wie können Unternehmen die Motivation ihrer Mitarbeitenden erhalten?
Herr Gassert, Sie kennen sowohl die westliche als auch die fernöstliche Welt gut.Was kann die westliche Welt von der fernöstlichen Welt lernen?
Das ist eine komplexe Frage. Im Westen gab es 500 vor Christus drei Jungs, die mit ihrer Philosophie Gesellschafts- und Ethikmodelle geschaffen haben, die noch heute Gültigkeit haben und unsere Gesellschaft bis heute tragen. Wir sprechen von Sokrates, Platon und Aristoteles. Zur selben Zeit gab es auch in Asien drei Jungs, die mit ihren Denkmodellen die dortige Welt geprägt haben: Konfuzius, Laotse und Buddha. Legt man die Lehren dieser sechs Männer übereinander, dann stellt man fest, dass die gar nicht so unterschiedlich sind.
Im Osten gibt es eher einen Fokus auf dem „Wir“, während es im Westen einen deutlichen Fokus auf das „Ich“ gibt. In der globalisierten Welt kann man mit diesen Gedankenmodellen spielen und das Gute aus der einen mit dem Guten aus der anderen Welt verbinden.
Was macht den langfristigen Erfolg von Unternehmen aus? Wie wird ein Unternehmen Top-Performer und bleibt es dann auch?
Ein Unternehmen muss sich seine Antriebe nutzbar machen und natürlich auch die seiner Mitarbeitenden. Darüber hinaus ist es wichtig, Resilienz, also Wiederaufstehkraft, zu trainieren, damit man bei Rückschlägen oder in Krisen vorwärtsgewandt und proaktiv bleibt. Das Mindset ist dabei essenziell. Die Japaner würden sagen: „Ganbatte Kudasai!“, also: „Durchhalten!“
Dazu passt, dass Sie mal gesagt haben: „Nicht das Anfangen ist das Schwierige, sondern das Durchhalten.“
Ein Unternehmen hat großes Interesse daran, dass seine Mitarbeitenden die Ziele erreichen. Die Führungskraft hat die Aufgabe, den Mitarbeitenden das Ziel zu erklären. Sie muss die Mitarbeitenden motivieren und dem Ziel eine gewisse Strahlkraft geben. Macht die Führungskraft ihre Aufgabe gut, sind die Mitarbeitenden motiviert, oder aber sie motivieren sich selber, da sie das Ziel gut finden, sie also die Strahlkraft des Ziels intrinsisch aufnehmen.
Eine andere Aussage von Ihnen zum Thema Balance ist: „Damit alles im Gleichgewicht bleibt, muss sich einiges verändern.“ Unternehmen müssen agiler und wandlungsfähiger werden, vor allem in einer Welt, die geprägt ist von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit – der VUCA-Welt.
Balance ist kein statischer Zustand, sondern letztlich eine Schwingung: Man muss sich anstrengen, um in Gleichgewicht zu sein, wie ein Seiltänzer, der auf dem Seil steht. Es heißt ja: „Du brauchst eine Vision, du brauchst ein Understanding, du brauchst Clarity und du brauchst Agility.“
Meiner Meinung nach muss noch ein M hintendran, also VUCAM. Das M steht dabei für Mut, ohne den geht es nicht. Wir brauchen gesellschaftlich mehr Mutfaktoren. Wir befinden uns in einer Phase des Zögerns, in der niemand mehr gerne Entscheidungen trifft.
„Den Mutigen gehört die Welt.“ Mut steht am Anfang einer Veränderung. Wie sehen Sie das Thema Mut in unserer Managerwelt, die ja teilweise davon lebt, keine Fehler zu machen?
Fehlervermeidung ist eine weitverbreitete und auch ungemein kluge Strategie. In China verwendet man häufig den Merksatz „Sei nicht so übermütig, bringe dich nicht selbst in Gefahr“ oder auch „The second mouse gets the cheese“.
Ich würde aber andersherum argumentieren: Wodurch lernt man am meisten? Aus seinen Fehlern! Zudem brauchen wir Innovationen. Die Personen oder Unternehmen, die als Erste eine Innovation hervorbringen, haben eine hohe Sichtbarkeit. Selbst dann, wenn sie dabei Fehler machen.
Was treibt uns als Mensch an? Wie holen wir mehr aus uns heraus und wie bleiben wir motiviert?
Die intrinsische Motivation ist das Nachhaltigste, was ein Mensch an Antriebskraft generieren kann. Das ist auch für Unternehmen spannend, da sie ihre Mitarbeitenden andauernd antreiben und motivieren müssen. Wenn Mitarbeitende aber intrinsisch motiviert sind, kann dies entfallen.
Es gibt verschiedene Formen intrinsischer Motivation.
Die erste Form ist das Lob. Manche Menschen wollen einfach gelobt werden. Manchmal sogar, bevor sie mit einer Aufgabe anfangen. Es motiviert sie überhaupt erst, mit der Aufgabe zu starten.
Andere können mit Lob überhaupt nichts anfangen. Lob kann sie gar verunsichern. Diese Menschen benötigen eher Klarheit.
Die dritte Gruppe wiederum braucht Wettbewerb. Diese Mitarbeitenden streben z. B. danach, immer noch einen Deal mehr als der Kollege zu erreichen.
Ein großes Unternehmen kann aber nicht den passenden Triggerpoint bei jedem einzelnen Mitarbeitenden stimulieren. Hier braucht es andere Antriebe, die durchaus auch intrinsisch sind.
Was können Unternehmen tun, um ihre Mitarbeitenden zu motivieren?
Ich empfehle Unternehmen, drei Antriebe zu reflektieren und strategisch einzusetzen.
Der erste Antrieb ist die Biologie und Biochemie des Körpers. Ein einfaches Beispiel ist es, Druck aufbauen und Stress zu erzeugen, denn Stress erzeugt Leistung. Aber: Je mehr Stresshormone im Körper sind, desto weniger lösungsorientiertes Denken ist möglich.
Auf der biochemischen Ebene können aber nicht nur Stresshormone freigesetzt werden, sondern auch Glückshormone, z. B. wenn die Mitarbeitenden gelobt werden oder Incentives erhalten. Die Mitarbeitenden wollen immer mehr von diesem Glücksgefühl und werden dadurch leistungsstark.
Der zweite Antrieb ist die Werteebene. Ideal ist es natürlich, wenn die Unternehmenswerte deckungsgleich sind mit den individuellen Werten der Mitarbeitenden.
Die dritte Form der intrinsischen Motivation ist die reineWillenskraft des Einzelnen. Viele Dinge, die gemacht werden müssen, macht der Einzelne nicht aus biologischen Gründen oder aus ehernen Zielen, sondern einfach, weil sie gemacht werden müssen.
Sie sind ein großer Anhänger des Taoismus. Im Taoismus geht es darum, die Welt immer ein Stück weit besser zu machen. Wie schätzen Sie derzeit die Entwicklung in Europa ein? Sind wir auf einem guten Weg, die Welt ein Stück weit besser zu machen?
Ich habe mich vor Kurzem mit dem griechischen Ex-Minister Yanis Varoufakis unterhalten. Ihm bereitet die aktuelle Situation in Europa Sorgen, weil die Zentrifugalkräfte so groß sind, dass sie Europa quasi auseinandertreiben. Auch ich sehe einen Trend zum Nationalismus, der mir nicht gefällt. Da denke ich manchmal in den Worten von Ronja Räubertochter: „Oh Gott, hoffentlich geht die Welt nicht zum Donnerdrummel.“
Taoisten weiten gerne den Blick. Sie prüfen einerseits, wie es dem Individuum geht, dann aber auch, wie es der Gesellschaft geht, und zuletzt, wie es der Natur geht. Ich glaube, dass viele Menschen und Unternehmen diese verschiedenen Blickwinkel immer mehr annehmen. So ist unser Blick auch auf die Klimakrise gepolt oder auch auf die Grenzen des Wirtschaftens, wie wir es im Moment tun.
Einige der Prozesse, die auf uns zukommen, sind unfassbar spannend – sie werden uns als Gesellschaft vorantreiben und die Welt verändern.
Host
Dr. Thilo Greshake, Partner Automotive, STAUFEN.AG
ist promovierter Maschinenbauer und seit 2017 bei der Staufen AG tätig.
Mit über 15 Jahren internationaler Beratungserfahrung in Lean Development, Engineering und Process Excellence verantwortet er als Partner den Bereich Automotive.
Gast
Marc Gassert, Kommunikationswissenschaftler und Kampfkunstmeister
Marc Gassert ist Vortragsredner und gern gesehener Gast bei Top-Veranstaltungen. Er ist landauf, landab als der „blonde Shaolin“ bekannt und bietet lebendige Vorträge rund um den Wissenstransfer zwischen fernöstlicher und westlicher Kultur an. Marc Gassert hat erst in München Kommunikationswissenschaften und interkulturelle Kommunikation studiert und später in Tokio Japanologie. Er spricht sechs Sprachen und hat diverse Meistergrade in Karate, Taekwondo und Shaolin Kung-Fu.
Erleben Sie Marc Gassert live beim BestPractice Day 2021.