Ein Interview mit Dr. Arnd Köfler, Mitglied des Vorstands der thyssenkrupp Steel Europe AG
Kaum ein anderes Thema wird der Wirtschaft in den kommenden Jahren so viel Veränderung abverlangen wie die Reduzierung der CO2-Emissionen. Dr. Arnd Köfler, CTO der thyssenkrupp Steel Europe AG, erläutert, vor welchen Herausforderungen das Traditionsunternehmen steht und wie es damit umgeht.
Ein Expertenbeitrag zur Studie Unternehmen im Wandel – Change Readiness Index 2022
Herr Dr. Köfler, das laufende Jahrzehnt wird für die Zukunft der europäischen Stahlindustrie entscheidend. Was sind die größten Herausforderungen – für die Branche insgesamt und ganz speziell für thyssenkrupp Steel?
Ganz klar die anstehende Dekarbonisierung der Stahlerzeugung. Hier müssen wir die nächsten Schritte einleiten. Die Hochofenroute – also die Gewinnung von Roheisen aus Eisenerz und Koks – erzeugt die maßgeblichen CO2-Emissionen in der Stahlindustrie. Eigentlich stehen in unseren Hochöfen jetzt große Ersatzinvestitionen an. Das Problem: In die alte Technologie werden wir nichts mehr investieren und für die neue und eigentlich auch startklare Technologie gibt es vor dem Hintergrund der aktuellen Rahmenbedingungen (Erneuerbare-Energien-Gesetz, Zertifikatehandel etc.) noch kein wirtschaftliches Geschäftsmodell.
Aktuell stößt die deutsche Stahlindustrie jedes Jahr 40 Mio. Tonnen CO2 aus, was rund 30 Prozent der Gesamtemissionen der deutschen Industrie entspricht. Wie weit ist thyssenkrupp auf dem Weg zum „grünen Stahl“, bei dem Wasserstoff den aus Steinkohle gewonnenen Koks bei der Eisenerzreduktion ersetzt?
Wir haben schon vor einigen Jahren unsere Strategie hin zu grünem Stahl technologisch klar beschrieben. Wir setzen dabei auf zwei Wege: Zu 80 Prozent wollen wir die CO2-Emission direkt vermeiden, indem wir die Hochofenrouten eliminieren und gegen die sogenannte Direktreduktion tauschen, die dann mit Wasserstoff betrieben wird. Für die restlichen Emissionen haben wir ein Verwertungsverfahren entwickelt, das seit 2018 in einem großen Test läuft. Auch den ersten Hochofen haben wir bereits so ausgestattet, dass Wasserstoff eingesetzt werden kann. Weitere Anlagen sind fertig engineered und die entsprechende Förderung durch IPCEI (Important Projects of Common European Interest) ist beantragt. 2025 bis 2029 sollen die Anlagen nach und nach in Betrieb gehen und unsere CO2-Emissionen dann um 30 Prozent senken.
Wie sieht es mit der Dekarbonisierung bei den Stahlproduzenten in den USA und China aus?
Auch in diesen beiden Ländern gibt es entsprechende Bemühungen, aber beim grünen Stahl ist Europa ganz klar der Pacemaker. Dazu muss man wissen, dass in den USA sehr viel mit Lichtbogenöfen gearbeitet wird, bei denen Stahlschrott eingeschmolzen wird, um daraus neue Stahlprodukte zu fertigen. Hier geht es also nicht so sehr um das Thema grüner Wasserstoff, sondern direkt um grünen Strom. In China sind alle Stahlwerke auf dem modernsten Stand der Technik. Zur Einordnung: Vor 20 Jahren produzierte China 150 Mio. Tonnen Stahl pro Jahr, heute sind es ca. 1 Mrd. Tonnen. Zudem vergessen wir hier in Europa immer, dass China neben dem Ausbau der konventionellen Kraftwerke parallel auch in die erneuerbaren Energien investiert. Noch ist Europa beim grünen Stahl vorn, aber das Thema haben auch andere erkannt.
Mit der „Strategie 20-30“ sollen bei thyssenkrupp Steel die Voraussetzungen geschaffen werden, dass diese Transformation gelingt. Wie sehen die wesentlichen Eckpfeiler aus?
Die „Strategie 20-30“ ist das Fundament für unsere Zukunftsfähigkeit. Denn auch über die Dekarbonisierung hinaus müssen unsere Geschäftsmodelle innovativ bleiben, um die gestiegenen Ansprüche der Kunden zufriedenstellen zu können. So optimieren wir an unserem größten Standort Duisburg – immer noch einer der Top-Five-Stahlstandorte weltweit – das gesamte Produktionsnetzwerk. Dazu gehört auch das zusammen mit der Staufen AG entwickelte neue Produktionssystem, das seit 2019 unternehmensweit ausgerollt wird. In Bochum wird die Fertigung von Hightech-Elektrobändern konzentriert, die vor allem beim Ausbau der E-Mobilität benötigt werden.
Was können Sie als Unternehmen selbst tun, damit die Umstellung auf den grünen Stahl gelingt? Wo sind Sie auf Ihre Kunden oder auch auf die Politik angewiesen?
Die Umstellung auf grünen Stahl ist fünfmal teurer als die Ersatzinvestitionen in die bisherige Technologie. Bis 2045 (Anm. d. Red.: Dann soll Deutschland laut Bundesregierung vollständig klimaneutral sein) werden wir daher zusätzlich 7 Mrd. EUR investieren. Neben einer ausreichenden Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff sind daher für eine erfolgreiche Transformation regulatorische Anreize notwendig. Zwar steigt bei den Kunden die Bereitschaft, einen gewissen Premiumaufschlag zu zahlen. Aber das allein reicht noch nicht, um die Lücke zu schließen.
„Beim grünen Stahl ist Europa der Pacemaker.“
Dr. Arnd Köfler, Mitglied des Vorstands der thyssenkrupp Steel Europe AG
Ist diese Umstellung neben der technologischen und finanziellen
nicht auch eine enorme kulturelle Herausforderung für Ihr Unternehmen? Schließlich reichen die Wurzeln von thyssenkrupp bis in das 19. Jahrhundert.
Selbstverständlich ist es anspruchsvoll, in einem Unternehmen mit einer 100-jährigen Herstellungsroute neue Denkprozesse zu implementieren. Die deutsche Stahlindustrie hat hier aber bessere Startvoraussetzungen als viele andere Länder, da in der Montanindustrie die enge Zusammenarbeit mit dem Sozialpartner erfolgreich geübte Praxis ist. Über die Notwendigkeit, den Klimawandel zu stoppen, herrscht breiter Konsens. Der Wandel muss aber mit dem Faktor der sozialen Sicherheit, sprich zukunftsfähigen Arbeitsplätzen, einhergehen. Wie in jedem disruptiven Prozess steckt auch in diesem die Chance, sich ein weiteres Alleinstellungsmerkmal zu schaffen. Wenn wir – Politik, Arbeitnehmer und Anteilseigner – dies in Duisburg, dem besten Standort direkt an der Wasserachse sowie in Nordseenähe und mit den großen Kunden direkt vor der Tür nicht hinbekommen, dann wird dieses Modell nirgendwo funktionieren.
Zum Schluss noch ein kurzer Blick in die Zukunft. Hitzewellen und Flutkatastrophen scheinen die Akzeptanz für eine grüne Wende in der Wirtschaft deutlich zu erhöhen. Werden wir am Ende die politisch vorgegebenen Jahreszahlen in Sachen Klimaneutralität gar nicht brauchen, da der Markt – angetrieben von neuen und sehr ambitionierten Playern – von allein für Tempo sorgen wird?
Das wird sich zeigen. Wir hören von unseren großen Kunden wie etwa der Automobilindustrie verstärkt, dass sie ihre Vorprodukte wie eben auch Stahl dekarbonisiert einkaufen möchten und auch zu preislichen Aufschlägen bereit sind. Es wird aber darauf ankommen, über die gesamte Wertschöpfungskette aufzuzeigen, dass der grüne Wandel sozialverträglich gelingen kann. Nur so wird es den breiten gesellschaftlichen Rückhalt geben, der letztendlich die Grundlage für ein demokratisches Miteinander ist. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber die nächsten Jahre werden extrem spannend.
Der Gesprächspartner
Dr. Arnd Köfler ist seit dem 1. Januar 2017 Mitglied des Vorstands der thyssenkrupp Steel Europe AG. In seiner Verantwortung liegt der gesamte Produktionsbereich, der alle Aktivitäten von der Roheisenerzeugung über die Walz- bis hin zu den Veredelungsbereichen beinhaltet. Köfler, Jahrgang 1967, studierte an der Ruhr-Universität Bochum Maschinenbau, bevor er 1999 an der RWTH Aachen im Fach Eisenhüttenkunde zum Dr.-Ing. promovierte.
Das Unternehmen
Die thyssenkrupp Steel Europe AG gehört zu den weltweit führenden Herstellern von Qualitätsflachstahl und steht für Innovationen bei Stahl und hochwertigen Produkten für modernste und anspruchsvolle Anwendungen. Steel beschäftigt rund 27.000 Mitarbeitende und ist mit einem Produktionsvolumen
von jährlich ungefähr 11 Mio. Tonnen Rohstahl der größte Flachstahlhersteller
in Deutschland.