Wenn die Staufen AG zum Best Practice Day lädt, sind zwei Dinge sicher: hochkarätige Speaker und gutes Wetter.
Auch in diesem Jahr wurden die rund 300 Teilnehmenden nicht enttäuscht. Und so zog es schon am Vorabend der Veranstaltung bei hochsommerlichen Temperaturen über 100 Teilnehmende in den Biergarten des Darmstädter „Braustübl‘s“, um bekannte Gesichter wiederzusehen und neue Kontakte zu knüpfen.
Nach dem informellen Auftakt ging es dann am nächsten Morgen mit dem offiziellen Kongressprogramm weiter, zu dem Staufen-CEO Wilhelm Goschy begrüßen durfte.
Goschy berichtete unter anderem von seinen Gesprächen mit einem industriellen Mittelständler. Das Unternehmen hatte zwar – durchaus erfolgreich – ein paar Digital-Cases umgesetzt, war aber über Insellösungen nicht hinausgekommen. Der Grund: Das Unternehmen hatte laut seines Geschäftsführers in den letzten Jahren komplett den Lean-Ansatz schleifen lassen. „So wie dieses Unternehmen, haben viele Firmen mittlerweile ihre Muskulatur verloren, weil sie das Grundlagentraining vernachlässigt haben“, mahnte Goschy. Doch wie beim Sport sei genau das die Basis für den Erfolg. Goschy weiter: „Die Diskussion, ob Lean oder Digital, ist zudem obsolet, es braucht beides, also eine auf die eigenen Wertströme optimierte Digitalstrategie.“
Willhem Goschy, CEO der Staufen AG
Prof. Dr.-Ing. Joachim Metternich, Leiter des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) an der TU Darmstadt
„Das radikale Minimieren von Zeitverlusten zwingt zu Prozessdenken“
Auch Co-Gastgeber Prof. Dr.-Ing. Joachim Metternich, Leiter des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) an der TU Darmstadt, stellte den Wertstrom in den Mittelpunkt. Genauer gesagt den Hochleistungswertstrom End2End. „Hochleistung entsteht immer dann, wenn Sie es schaffen, Widersprüche aufzulösen, zum Beispiel zwischen individuellen Kundenwünschen und niedrigen Durchlaufzeiten“, zeigte Metternich auf.
Sein Rat: „Stimmen Sie Ihre Lösungsräume stets auf ihre Prozessfähigkeiten ab!“ Dafür sei es notwendig, eine neue Wertstromperspektive einzunehmen und neben den Material- auch die Informationsflüsse zu betrachten. Mit diesem Ansatz, so Metternich weiter, sei es beispielsweise dem Pumpenhersteller Munsch gelungen, die Durchlaufzeit für die Fertigung von Grundplatten für Chemiepumpen um 90 Prozent zu senken. Metternich: „Das radikale Minimieren von Zeitverlusten zwingt zu Prozessdenken und damit zu Operational Excellence.“
„Damit deutschland wieder wettbewerbsfähig Wird“
Nach diesem ersten Deep Dive ging es mit Prof. Dr. Lars P. Feld zurück auf die geopolitische Ebene. Der ehemalige Wirtschaftsweise und jetzige Direktor des Walter-Eucken-Instituts verdeutlichte eindrücklich, vor welchen Rahmenbedingungen die hiesige Wirtschaft aktuell an ihrer operativen Exzellenz arbeitet bzw. arbeiten muss. Feld wehrte sich dagegen, Deutschland pauschal als den „kranken Mann Europas“ zu bezeichnen und hob beispielsweise die Stärken des Maschinen- und Anlagenbaus gegenüber der Konkurrenz in den USA und auch die im Vergleich zu vorherigen Krisen bessere Eigenkapitalausstattung der Privatwirtschaft hervor. Allerdings habe die aktuelle Wirtschaftspolitik mit hohen Arbeits- und Energiekosten sowie steuerlichen und regulatorischen Belastungen für viel Verunsicherung in den Unternehmen gesorgt.
Sein Rat: „Damit Deutschland wieder wettbewerbsfähig wird, müssen wir diese Themen anpacken!“ Gleichzeitig sprach sich Feld geopolitisch dafür aus, mit den USA zu kooperieren und mit China den Dialog zu suchen.
Prof. Dr. Lars P. Feld, Direktor des Walter-Eucken-Instituts
Dr. Marcus Ewig, Geschäftsführender Direktor bei der Rhenus Automotive SE
„Es droht der Verlust einer Kernindustrie“
Dass der Faktor Zeit bei Transformationsprozessen eine entscheidende Rolle spielt, machte Dr. Marcus Ewig, Geschäftsführender Direktor bei der Rhenus Automotive SE, am Beispiel der Automobilindustrie deutlich.
Ewig befürchtet, dass Europa den Wandel zu stark verzögert und damit gegenüber China in Sachen preiswerter E-Mobilität sowie Batterietechnologie entscheidend zurückfallen könnte. „Es droht ein nicht mehr aufzuholender Abstand und damit der Verlust einer Kernindustrie“, warnte Ewig. Um noch rechtzeitig wieder einen stabilen Zustand zu erlangen, seien aus seiner Sicht vier erste Schritte notwendig: den Dialog zwischen Politik und Wirtschaft ausbauen, eine Produktivitätsoffensive starten, die Überregulierung abbauen sowie ein einheitliches Narrativ entwickeln.
„Fokus, Fokus, Fokus!“
Was es bedeutet, wenn eine gesamte Industrie ins Taumeln gerät, musste Dr. Mark Hiller, CEO der Recaro Holding, im Zuge der Corona-Pandemie erleben.
War sein Unternehmen – Marktführer bei Flugzeugsitzen für die Economy Class – zuvor mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 13 Prozent von Rekord zu Rekord geeilt, ging es mit minus 40 Prozent zwischen 2019 und 2021 rasant bergab. Dass Recaro auch in der „größten Krise der Unternehmensgeschichte“ handlungsfähig blieb, hatte einen einfachen Grund. Noch vor der Pandemie hatte Hiller trotz Rekordzahlen seine Strategie auf einen möglichen Umsatzeinbruch ausgerichtet und gegen Widerstände beispielsweise einen Einstellungsstopp verhängt. Zwar kann auch Recaro laut Hiller beim Deuten schwacher Signale noch besser werden, aber dank der Erfolgsfaktoren Team (z.B. neue Karrierepfade), Kunden (Innovationsworkshops), Strategie (Footprint erhalten) und Leadership (langfristig denken und schnell handeln) ist Recaro auf den Wachstumspfad zurückgekehrt. Hillers Motto: „Fokus, Fokus, Fokus!“
Dr. Mark Hiller, CEO der Recaro Holding
Max Schlengsag, der Gründer des Start-ups Futurised
„Wir reden viel über Künstliche Intelligenz, jetzt geht es um das Tun“
Reichen die Wurzeln von Recaro bis in das Jahr 1906, so gründete Max Schlensag sein Start-up Futurised (KI-basierte Dokumentenverarbeitung sowie smarte Chatbots und Assistenten) erst 2021 – mit damals 18 Jahren.
Schlensag, der in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ Carsten Maschmeyer erfolgreich als Investor gewinnen konnte, überzeugte mit seiner authentischen und direkten Art auch das Auditorium in Darmstadt. „Wir reden viel über Künstliche Intelligenz, jetzt geht es um das Tun“, forderte der Gründer die etablierten Unternehmen zu mehr Mut zur Veränderung auf. „KI wird den Menschen nicht ersetzen, aber der Mensch mit KI wird den Menschen ohne KI ersetzen“, zitierte Schlensag den Harvard-Professor Karim R. Lakhani.
„Die High-Five-Geste ist noch kein Feedback“
Beim Thema Führung kommt allerdings auch Technologie an ihre Grenzen. „Brillant hinter dem Laptop zu sein, macht noch lange keine gute Führungskraft“, mahnte Martin Andersen, Country Director Mitteleuropa bei Amazon Logistics, in den Abschlussstunden des Best Practice Day 2024.
Sein Unternehmen setzt neben Tugenden wie Pünktlichkeit und Höflichkeit konsequent auf strukturierte Onboarding- und Entwicklungspläne für neue Führungskräfte, um eine Hochleistungsorganisation wie Amazon mit durchschnittlich 30 verschiedenen Nationalitäten an jedem Standort erfolgreich zu machen. Vor allem müssen Führungskräfte bei Amazon Feedback geben können. Andersen: „Die High-Five-Geste ist noch kein Feedback. Unser Motto weltweit lautet: listen to understand, not to respond.“
Martin Andersen, Country Director Mitteleuropa bei Amazon Logistics
Wie wir uns selbst besser verstehen und dabei nicht zu ernst nehmen
Während Extremsportler Joey Kelly unter anderem ermutigte, wie wir uns für acht Iron-Man-Rennen in einem Jahr motivieren können, vermittelte Dr. Roman Szeliga, Facharzt für Innere Medizin und Mitgründer der CliniClowns, mit einem Augenzwinkern, wie wir es schaffen, mit Humor alles halb so schlimm oder doppelt so gut zu finden. All das und noch viel mehr konnten die Teilnehmenden auf dem diesjährigen Best Practice Day erfahren.
Joey Kelley, Extremsportler (links im Bild) und Janice Köser, Moderatorin des Best Practice Day (rechts im Bild)
Dr. Roman Szeliga, Facharzt für Innere Medizin und Mitgründer der CliniClowns