Locker zur Industrie 4.0

Digitalisierung

Ein Robotik-Projekt hat den Ingenieur und Diplom-Informatiker Dr. Andreas Bihlmaier im Jahr 2015 zu Google ins Silicon Valley geführt. Trotz eines attraktiven Jobangebots ging er zurück nach Deutschland, um ein eigenes Unternehmen zu gründen, die robodev GmbH. Es produziert flexible Module, mit denen Unternehmen ihren Maschinenpark erweitern und Teilprozesse automatisieren können. Von der Mentalität des Silicon Valley hat der 30-Jährige sich vieles abgeschaut. Den deutschen Unternehmen rät er, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen.

Sie kennen den deutschen Mittelstand und das Silicon Valley. Was machen die Unternehmen dort anders? Und was kann die deutsche Industrie von ihnen lernen?

Der wichtigste Unterschied ist, dass man im Silicon Valley schneller zur Tat schreitet. Wenn in Deutschland ein Unternehmen etwas Neues ausprobieren möchte, werden erst mal Meetings einberufen, um ausgiebig die Pros und Contras zu diskutieren. Am Ende wird das Ganze dann oft doch wieder vertagt. Im Silicon Valley probiert man den neuen Ansatz einfach aus. Nach einer bestimmten Zeit setzen sich die Kollegen wieder zusammen und entscheiden anhand der praktischen Erfahrungen über das weitere Vorgehen.

Was haben Sie noch für sich nach Deutschland an Erfahrungen mitgenommen?

Im Silicon Valley besteht ein grundlegendes Vertrauen in die Mitarbeiter. Sie können bis zu einem gewissen Grad auch über Ausgaben selbst entscheiden und müssen nicht jedes Mal die Genehmigung ihrer Vorgesetzten einholen.

Bei Google sagt man sich: „Es kann doch nicht sein, dass die Verwaltungskosten höher sind als der mögliche Schaden, den der Mitarbeiter verursachen kann.“

Die Unternehmen im Silicon Valley setzen ja sehr stark auf digitale Geschäftsmodelle und sind damit außerordentlich erfolgreich. Müssen auch die Unternehmen in Deutschland so digital werden, um in der Zukunft bestehen zu können?

Deutsche Unternehmen sollten nicht den Fehler begehen, alles, was vom Silicon Valley herüberschwappt, eins zu eins zu übernehmen. Wir werden Unternehmen wie Google oder Facebook auf ihrem Kerngebiet nicht schlagen. Das sollten wir auch gar nicht erst versuchen.

Denn unsere Stärken liegen ganz woanders. Die Silicon-Valley-Unternehmen beherrschen die IT und das B2C-Geschäft. Die Kernkompetenzen der deutschen Unternehmen dagegen liegen im Bereich der physischen Produkte, insbesondere auch im Maschinenbau und im B2B-Geschäft. Und das sollten deutsche Unternehmen nie aus dem Blick verlieren. Sie dürfen nicht den Fehler machen, jetzt nur auf die Digitalisierung zu setzen, und die Entwicklung der Hardware den Chinesen überlassen.

Meine Empfehlung an die Unternehmen: Sie sollten mit Start-ups kooperieren, gerade auch im Automationsbereich.

dr. andreas bihlmaier

Was empfehlen Sie dann den deutschen Unternehmen aus Sicht eines Kenners beider Welten?

Die Firmen sollten ihre Stärken nutzen und ihr Portfolio um neue Elemente erweitern. In anderen Ländern gibt es auch Unternehmen, die gute Motoren bauen. Die deutsche Industrie kann sich aber gegen die günstige Konkurrenz aus dem Ausland behaupten, wenn sie Lösungen mit einem echten Mehrwert anbietet. Der kann zum Beispiel darin bestehen, dass der Kunde den Motor aus der Ferne überprüfen kann. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass die Hauptleistung noch immer der Bau des Motors ist, und nicht der digitale Zusatzdienst. Die Unternehmen sollten die Digitalisierung
auf ihr Kerngeschäft übertragen und kein komplett neues Geschäft aufziehen. Wenn Sie in einer unbekannten Disziplin aus der hinteren Reihe starten, dann werden Sie nicht gewinnen.

Als Start-up-Unternehmen, das auf Hard- und Software gleichermaßen setzt: Welche Fehler gilt es bei dieser Transformation zu vermeiden?

Viele Unternehmen gründen eine IT-Abteilung und kapseln sie vom Kerngeschäft ab. Dabei ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine der großen Stärken von deutschen Unternehmen. Im Silicon Valley finden Sie sicher kein Unternehmen, in dem Maschinenbauer, Elektrotechniker und Produktionsplaner zusammenarbeiten. Die Unternehmen hierzulande müssen es schaffen, IT-Experten in diese interdisziplinären Teams zu integrieren. Dazu müssen die Experten vor Ort sein.

Es mag erstaunen, aber auch hier ist Google Vorbild: Das Unternehmen verdient sein Geld mit Digitaldiensten und könnte doch all seine Mitarbeiter von ihrem Homeoffice aus anbinden. Trotzdem arbeiten im Hauptsitz Mountain View mehr als 20 000 Mitarbeiter. Die direkte Interaktion lässt sich eben durch nichts ersetzen.

Viele mittelständische Industrieunternehmen haben enorme Probleme, Fachkräfte zu finden, die sie bei der Digitalisierung unterstützen – gerade in der Provinz. Wo sollen die IT-Experten herkommen?

Meine Empfehlung an die Unternehmen: Sie sollten mit Start-ups kooperieren, gerade auch im Automationsbereich. Davon profitieren beide Seiten, denn in Deutschland gibt es zwar viele Förderprogramme, aber die Mittel reichen gerade im Engineering-Bereich bei Weitem nicht aus. Für die Entwicklung von Hardwarekomponenten brauchen Start-ups Maschinen und eine Werkhalle. Hier könnten die Unternehmen einspringen, denn meist sind ihre Produktionskapazitäten
ja nicht voll ausgelastet. Im Gegenzug unterstützen die Start-ups sie dann beispielsweise bei der Produktentwicklung oder binden sie über eine Beteiligung ein. Eine Kooperation kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Die Partner müssen nur einen organisatorischen Rahmen finden, der beide Seiten berücksichtigt.

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