Lateinamerika auf dem Weg zur Energiewende 

staufen magazine 2023/2024 | No. 6 | Siemens Energy | Nachhaltigkeit

Der Energiebedarf steigt weltweit, insbesondere der Bedarf an erneuerbaren Energien. Die Länder möchten ihre CO2-Bilanz verringern, eine erschwingliche Energieversorgung gewährleisten und Sicherheit in Sachen Energieversorgung haben. 

Im Interview mit Andre Clark, Senior Vice President Siemens Energy Latin America und Vice President Siemens Energy Brazil

Andre Clark

Senior Vice President Siemens Energy Latin America, Vice President Siemens Energy Brazil

Siemens Energy

Herr Clark, der Krieg in der Ukraine hat zu einer großen Krise bei der Versorgung mit Erdgas geführt, denn das wurde größtenteils von Russland geliefert. In Brasilien steckt die Erdgasförderung noch in den Kinderschuhen. Wie steht Siemens Energy zu Erdgas, insbesondere im Hinblick auf die Energiewende? 

Erdgas spielt hier eine große Rolle, denn die Kunden von Siemens Energy weltweit fragen beim Kauf einer Infrastruktur zur Umwandlung von Gas in elektrische Energie inzwischen grundsätzlich nach, ob diese Infrastruktur bereits für Wasserstoff vorbereitet ist. Somit ist Gas nicht nur der Übergangskraftstoff zum Ausstieg aus der Kohle, sondern bietet auch Chancen für eine mögliche Substitution durch Wasserstoff, da die dafür benötigten Infrastrukturen ähnlich sind. Unsere Produkte sind darauf vorbereitet.  

Wir haben hier eine klassische Übergangssituation: 2006 hat Brasilien eine sehr große Menge an Offshore-Öl und -Gas entdeckt. Bis 2025 wird Brasilien der fünftgrößte Erdölproduzent der Welt sein – und mit der Ölförderung ist jede Menge Gas verbunden.  

Angesichts des Reichtums an grünen Ressourcen stellt sich heute jedoch die Frage, ob Brasilien nicht direkt auf grünen Wasserstoff umsteigen sollte. Die Antwort darauf ist noch nicht entschieden. Da wir zunehmend unter dem Druck des Klimawandels stehen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Brasilien die Umstellung auf Gas überspringt und direkt auf Wasserstoff umsteigt. Dies könnte in den nächsten zehn Jahren möglich sein. In der Energiewelt ist das eine ziemlich lange Zeitspanne.  

Welche Kernpunkte beinhaltet die Strategie von Siemens Energy für die kommenden Jahre in Bezug auf Investitionen in erneuerbare Energien und wie will Siemens seine diesbezüglichen Ziele erreichen?  

Zunächst einmal bestand die Strategie von Siemens Energy darin, 100 Prozent der Anteile von Siemens Gamesa, einem Hersteller von Windkraftanlagen, zu erwerben, denn wir glauben, dass Windenergie ein sehr wichtiges Geschäft für die Zukunft ist. 

Grundsätzlich sieht die Strategie von Siemens Energy vor, dass das Unternehmen in allen Energiebereichen tätig ist – das reicht von der Energieerzeugung über den Energiewandel bis zur Dekarbonisierung der Industrie. Wir wollen ein One-Stop-Shop sein. Das bedeutet: Wir erzeugen Energie aus Wind und Gas. Wir transportieren diese Energie und werden in Zukunft der Industrie dabei helfen, Wasserstoff zu nutzen, fossile Brennstoffe aus ihren Prozessen zu entfernen und ihre Ausstattung durch die Komprimierung von Gas zu verbessern, indem wir beispielsweise CO2-Abscheidung und -speicherung betreiben. Wir haben uns als Technologieunternehmen der Energiewende verschrieben und unterstützen unsere Kunden dabei, diese Energiewende zu vollziehen.  

Als Folge des Ukraine-Kriegs und des Klimawandels ist die Nachfrage nach Siemens-Technologie sehr schnell gestiegen. Hierzu hat auch die Förderung umweltfreundlicher Technologien in den europäischen Ländern und den Vereinigten Staaten beigetragen. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs bereiten diese Länder eine neue Energiematrix vor. Um die Energiewende in der Welt umzusetzen, brauchen wir zum Beispiel 22 Mal mehr Kupfer und 30 Mal mehr Stahl. Dies wird die Art und Weise verändern, wie man Wertschöpfungsketten organisiert. Außerdem haben diese Länder erkannt, dass es sehr wichtig ist, zumindest eine gewisse Autarkie und mehrere Partner zu haben. Hier kommt Lateinamerika in Spiel. Für Siemens Energy bedeutet das, dass wir unsere industriellen Prozesse und unsere Anlagen auf ein deutlich höheres Level an Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Zuverlässigkeit heben müssen. Genau das tun wir heute zusammen mit Staufen: Wir stellen sicher, dass wir eine gut koordinierte, qualitativ hochwertige Wertschöpfungskette haben.

Die Welt ist anspruchsvoller, riskanter und kostspieliger geworden. Die Zinssätze sind hoch. Weil Geld so teuer geworden ist, muss man viel höhere Gewinne erzielen. Auf jeden Fall sind unsere Wertschöpfungsketten volatiler und weniger vorhersehbar geworden. Das bedeutet, dass unsere Produktion flexibler werden muss. Probleme in der Produktionsstätte müssen schnell und in enger Zusammenarbeit mit dem Management gelöst werden.  

Wir haben nicht mehr die hocheffiziente Just-in-time-Kette, in der alles wie am Schnürchen läuft, sondern eine „Nur-für-den-Fall“-Kette, die wir umgehend adaptieren können, falls es eine Störung gibt. Wir haben Staufen damit beauftragt, dieses Change Management in unserer Produktion durchzuführen. Wie können wir schnell reagieren? Wie können wir Probleme schnell und effizient lösen? Gleichzeitig geht es darum, das Potenzial unserer Mitarbeitenden zu nutzen, indem wir sie wertschätzen, besser einbinden, befähigen und qualifizieren.  

Siemens Energy ist 2020 aus der Aufspaltung von Siemens Gas & Power hervorgegangen. Seither wurde viel in die Entwicklung Ihrer Führungs- und Managementmodelle investiert. Wie unterstützen diese Initiativen das Wachstum, das das Unternehmen in den kommenden Jahren anstrebt?  

Sie sind das Kernstück der Transformation. Siemens Energy durchläuft eine tiefgreifende Umstrukturierung. Kurz gesagt: Es geht um mehr Nähe und weniger Hierarchie. Wir sind dabei, einem hierarchisch geprägten, pyramidenförmigen Unternehmen eine viel flachere Struktur zu geben. Die Führungskräfte sollen näher an den Mitarbeitenden in den Produktionsstätten sein, also an denen, die produzieren, liefern und verkaufen.  
Dieses Ziel erfordert ein ganz anderes Managementmodell. Es muss einfach, schnell und agil angelegt sein. Der Wandel erfordert viel Feingefühl im Hinblick auf Veränderungen in Kultur, Verhalten und Werten, also in grundlegenden Führungselementen. Das neue Managementmodell, das wir zusammen mit Staufen aufbauen, bringt die praktischen Ergebnisse dieses Wandels auf sehr konkrete Weise in die Fabrikhalle. Kommunikation und Change Management müssen viel direkter sein. Die Führungskraft muss in die Produktionsstätte gehen und gemeinsam mit den Mitarbeitenden für die identifizierten Probleme systematisch eine geeignete Lösung entwickeln. Lean Management bedeutet Transparenz, schnelle Problemlösung und kulturellen Wandel im Unternehmen.  

Wie haben die Mitarbeitenden all diese Veränderungen angenommen? 

Die Reaktion der Teams hätte nicht besser sein können. Der neue Führungsstil trägt bereits Früchte. Durch die praktische Erfahrung nimmt man den Menschen die Angst davor, was der Wandel an schwierigen Veränderungen mit sich bringen könnte. Beispielsweise zeigten Umfragen zu unserer Unternehmenskultur, dass wir früher ein Zweiklassenmodell hatten. Die Mitarbeitenden in der Produktion fühlten sich anders behandelt als die Mitarbeitenden im Büro. Eine wichtige Änderung bestand also darin, das gesamte Büro in die Produktionsbereiche zu verlegen. Damit sind alle Mitarbeitenden näher am Kunden, näher an den Projekten, näher an der Realität. Unsere Mitarbeitenden an der Basis der Pyramide sind wissensdurstig, hoch motiviert und zielstrebig. Wir müssen ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken und ihnen alle Möglichkeiten zur Qualifizierung und persönlichen Weiterentwicklung bieten. Denn mit der Wertschätzung unserer Mitarbeitenden steigern wir als Unternehmen Produktivität und Qualität.  

Das Unternehmen

Mit der Ausgliederung von Siemens Energy im Jahr 2020 wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der Siemens-Energietechnik aufgeschlagen. Als unabhängiges, börsennotiertes Unternehmen verfügt Siemens Energy über ein breites Know-how entlang der gesamten Energiewertschöpfungskette. Das Unternehmen bietet ein umfassendes Portfolio für Energieversorger, unabhängige Stromerzeuger, Netzbetreiber, die Öl- und Gasindustrie und energieintensive Branchen. Mit weltweit rund 90.000 Mitarbeitenden leistet das Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung der Energiesysteme von heute und morgen.

2020

Ausgliederung

90.000

Mitarbeitende

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