Die Start-Up-Kultur in das Denken hineintragen – Interview mit Marco Wagner, Airbus

Leadership und Organisationsentwicklung

Studie: Aerospace 2019

Leadership in Zeiten des Wandels

Airbus-Arbeitsdirektor Marco Wagner (Mitglied der Geschäftsführung von Airbus in Deutschland) und Staufen-Partner Christoph Heine (Branchenmanager Aerospace & Defence) erläutern im Interview, welche Ansätze es für eine moderne Führungskultur schon heute in der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie gibt und wo noch Potenzial liegen gelassen wird.

Herr Wagner, kaum ein Begriff ist derzeit so omnipräsent wie „Agilität“. Wie gut vertragen sich die traditionell langzyklische Aerospace-Industrie und Agilität? Wie gut passen Airbus und Agilität zusammen?

Wagner: Selbst in der Luftfahrtbranche werden die Innovationszyklen immer kürzer. Diese Beschleunigung verändert auch unsere Forschungsaktivitäten. So setzen wir dort zunehmend agile Methoden ein und entwickeln mittlerweile Prototypen in kurzen Sprints statt in langatmigen F+E-Projekten. Zusätzlich arbeiten wir in vielen Bereichen ganz gezielt mit Start-ups zusammen, um von deren Wendigkeit zu lernen.

Wie sieht denn diese Zusammenarbeit mit den Start-ups genau aus?

Wagner: Wir geben diesen meist noch recht jungen Unternehmen die Chance, ihre Konzepte in der Luftfahrtbranche zu testen. Dabei werden sie von uns mitunter auch finanziell unterstützt. Das Ziel ist immer eine Win-win-Situation. Dabei geht es uns aber nicht nur um die konkreten Resultate dieser Tests, sondern auch darum, dass die Start-up-Kultur in das Denken eines „Riesen“ wie Airbus hineingetragen wird.

Herr Heine, sind solche Formen der Zusammenarbeit auch für mittelständische Luftfahrt-Zulieferer denkbar?

Heine: Die Strukturen dafür sind auf jeden Fall vorhanden. Start-ups können Teilaufgaben für Airbus genauso wie für einen Zulieferer lösen und sind dabei häufig sehr viel schneller und fokussierter als die Unternehmen selbst. Das funktioniert aber nur, wenn Führungskräfte die entsprechenden Aufgaben identifizieren und konsequent an Start-ups delegieren. Dazu passt ein Kernergebnis der hier vorliegenden Studie (siehe S. 28), nämlich dass der Schlüssel für Agilität, New Work und Co. ganz klar bei den Führungskräften liegt.

Kann das Management denn die erforderliche Offenheit für neue Führungsmethoden erlernen? Oder muss man das ein-fach in den Genen haben?

Heine: Sicherlich geht es nicht ohne eine gewisse angeborene Neugier auf Neues. Entscheidend ist aber letztendlich, dass Unternehmen dann dieser Neugier in der täglichen Arbeit auch Raum geben. Das sagt sich zwar leicht, ist aber in der Praxis nicht immer so einfach. Oft gilt es, Ressourceneinsätze abzuwägen und tatsächliche wie vermeintliche Hindernisse zu überwinden. Hier kann Coaching ein hilfreiches Instrument sein.

Wagner: Lassen Sie mich ergänzend kurz verdeutlichen, wie so etwas bei Airbus aussieht. Wir haben zum Beispiel Teams, denen zwar eine Führungskraft vorsteht, die aber nur eingreift, wenn die vom Team autark entwickelte Arbeitsweise eindeutig das Ergebnis gefährdet. Andere Teams bei uns haben wechselnde Chefs – ein Projekt leitet Kollege A, das nächste Projekt Kollegin B.

Wie vertragen sich solche Freiräume und flexible Strukturen mit dem Zeit- oder Lieferdruck, der in vielen Projekten herrscht?

Wagner: Hier sind ebenfalls die Führungskräfte gefragt. Sie müssen auch in Drucksituationen in der Lage sein, einen Schritt zurückzutreten und das aktuelle Vorgehen zu hinterfragen, statt ungebremst mit der stumpfen Axt weiterzuarbeiten. Diese Fähigkeit des Innehaltens hat viel mit Erfahrung zu tun. Und Erfahrungen können Führungskräfte nur sammeln und in die Teams weitertragen, wenn das Unternehmen sie solche auch ganz bewusst machen lässt.

Wie motivieren Sie Ihre Führungskräfte, diesen Raum zu nutzen?

Wagner: Ich habe unter anderem jedes Jahr eine große Veranstaltung mit bis zu 400 Führungskräften. Hier werden auf großer Bühne von Managern aus diesem Kreis erfolgreiche Beispiele vorgestellt, wie man bei Airbus Führung und Zusammenarbeit bereits neu und innovativ denkt.

Heine: Wichtig ist hierbei natürlich auch eine Fehlerkultur, die negative Erfahrungen nicht stigmatisiert, sondern als Teil eines lernenden Unternehmens begreift.

Wagner: Ganz richtig, denn rückblickend hat wohl jede gestandene Führungskraft im Laufe der Karriere mehr aus den kleinen Niederlagen gelernt als aus den Erfolgen. Und nur wenn eine Führungskraft offen mit dem Team über Fehler spricht und Mut macht, gemeinsam eine Lösung zu finden, kann Vertrauen entstehen.

Funktionieren diese Ansätze auch in einer getakteten Fertigung?

Wagner: Ja. Denn auch wenn man dort natürlich nicht spontan auf einmal alles anders machen kann, gibt es ebenfalls Probleme, die man nur im Team und mit genügend Zeit gelöst bekommt. Nur zur Einordnung: Die neue Arbeitswelt – egal ob in der Forschung oder in der Produktion – bedeutet nicht, dass jeder machen kann, was er will.

Welche drei Kern-Fähigkeiten muss der „ideale Airbus-Manager“ in der neuen Arbeitswelt besitzen?

Wagner: An erster Stelle müssen unsere Managerinnen und Manager sehr gute Kommunikatoren sein, damit Prioritäten und Ziele über alle Hierarchieebenen klar und unmissverständlich sind. Hinzu kommt die Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion – gerade auch, wie schon erwähnt, in operativ angespannten Phasen. Und drittens muss eine Führungskraft inspirieren und Sinn stiften können. Sie muss also in der Lage sein, die Ziele so herunterzubrechen, dass jeder Mitarbeiter seinen Beitrag zur Zielerfüllung erkennt.

Heine: Dieses Profil kann ich nur unterstreichen. Denn die mit dem Begriff Agilität verbundenen Freiräume erfordern nicht weniger, sondern mehr Kommunikation. Und hier reden wir nicht vom berühmt-berüchtigten Mitarbeiterjahresgespräch, in denen Mitarbeiter ein über zwölf Monate „angespartes“ Feedback serviert bekommen. Wir reden von wöchentlichen oder sogar täglichen Feedback-Gesprächen. Ich kenne wirtschaftlich höchst erfolgreiche Unternehmen, in denen gerade das mittlere Management 50 bis 70 Prozent der Arbeitszeit mit Kommunikation verbringt.

Wagner: Auch bei uns gibt es keine jährlichen Gespräche mehr. Wir reden lieber von „People-Tempo“. Jeder Bereich arbeitet selbst heraus, in welcher Taktung Gespräche zu führen sind.

Müssen für diese Art der Führung und Kommunikation nicht auch die Mitarbeiter anders ausgebildet werden?

Wagner: Auf jeden Fall! Hier gilt es, die Veränderung von beiden Seiten voranzutreiben. So sollten Ausbilder den Auszubildenden nicht mehr alles vorgeben, sondern zum Lernbegleiter werden. Bei uns in Hamburg werden bereits Fluggerätmechaniker nach einem neuen didaktischen Konzept ausgebildet. Sie entwickeln Lösungen für interne Kunden in unseren Werken, die eine Aneignung gewisser Fertigkeiten erfordern. Diese Fertigkeiten werden durch Lernbegleiter zielgerichtet vermittelt. Der erste Jahrgang ist durch und wir ernten sehr positive Rückmeldungen. So sind unsere Meister in den Werkhallen davon begeistert, dass die Azubis nun viel mehr Fragen stellen, eigenverantwortlicher und kundenfokussierter arbeiten und sich insgesamt stärker einbringen.

Heine: Gerade solche Beispiele zeigen aus meiner Sicht, dass für eine Verbesserung der Führungskultur unternehmensübergreifende Initiativen in der Aerospace-Branche sehr sinnvoll sein können. Gerade kleinere und mittelgroße Betriebe tun sich aber auch schwer, eine kooperative Ausbildung nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen zu gestalten. Die KMU könnten aber dadurch auf ein ganz neues Niveau kommen.

Wagner: Auch wenn wir mit den anderen Unternehmen im Zweifel im Wettbewerb um dieselben Arbeitskräfte stehen, sind wir bei Airbus sehr offen für solche Initiativen. Zumal wir von den „Kleinen“ – nicht selten Weltmarktführer auf ihrem Gebiet – wahrscheinlich viel mehr lernen können als umgekehrt.

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