Bettina Schön-Behazin, Vorstandsvorsitzende der deutschen Auslandshandelskammer in Shanghai
China bietet erfolgreiche Technologiefirmen, staatliche Strategien für Elektromobilität und Smart Manufacturing, Start-ups und immer mehr MINT-Absolventen. Deutschland sollte das als Chance verstehen.
Die chinesische Digitalwirtschaft und ihre Technologieunternehmen sind trotz langsameren Wirtschaftswachstums sehr erfolgreich. Ein Grund dafür sind die intensiven Investitionen in Forschung und Entwicklung und die staatlichen Subventionen. Interessant ist auch die immer größer werdende Start-up-Szene. Nach den neuesten Zahlen werden in China täglich 18.000 neue Unternehmen angemeldet, das sind etwa vier Millionen pro Jahr. Nicht alle sind hochinnovativ. Doch wenn nur ein Bruchteil davon konkurrenzfähig ist, sind das jährlich ein paar Tausend neue Erfolgsgeschichten.
Weitgehende Digitalisierung des Alltags
Im riesigen chinesischen Binnenmarkt skalieren digitale Geschäftsmodelle ähnlich schnell wie im englischsprachigen Raum – oft sogar schneller. Bei der Digitalisierung des Alltags ist China sehr weit, es hat einige technologische Zwischenschritte einfach übersprungen. So ist Mobile Payment beispielsweise mit WeChat vollständig in den Alltag eingedrungen und hat das Bargeld beinahe völlig abgelöst.
Ein Grund für den Digitalboom ist eine andere Einstellung zu Privatsphäre und Datenschutz als in Europa. Sie hat dazu geführt, dass die chinesischen Digitalunternehmen eine gigantische Menge an Daten besitzen, die sie ungestört auswerten können. Auch die Verwendung von künstlicher Intelligenz und Gesichtserkennungstechnologien werden von den Chinesen akzeptiert, da sie der Sicherheit dienen – so die offizielle Sprachregelung.
Während die Digitalwirtschaft inzwischen Weltniveau erreicht, hinken traditionelle Branchen hinterher, vor allem in Elektrotechnik, Maschinen- und Anlagenbau. Es gibt einige Leuchttürme, die mit hohen Standards und weitgehend automatisiert produzieren. Doch daneben gibt es auch viele Unternehmen, die noch nicht einmal ERP-Systeme nutzen.
Die Aufholjagd ist noch nicht zu Ende
Auch im Hochschulsystem zeigt sich, dass Chinas Aufholjagd noch nicht zu Ende ist. Zwar erzeugt es jährlich etwa acht Millionen Absolventen, davon ungefähr drei Millionen Ingenieure. Doch insgesamt sind die Universitäten eher mittelmäßig. Größter Nachteil ist die rein theoretische Orientierung. Es gibt wenig internationale Vernetzung und kaum Kooperationen mit Unternehmen oder Forschungsinstituten.
Im Moment studieren viele Talente im Ausland. Anders als früher kommen sie aber oft zurück, da sie in der stetig wachsenden Startup-Szene große Chancen haben. Doch auch europäische Experten sind in China aktiv. Prominentes Beispiel sind ehemalige Mitarbeiter eines deutschen Automobilherstellers, die in China das Elektroauto-Start-up Byton aufbauen. China wirbt um die besten Köpfe und versucht, Experten aus aller Welt anzuziehen, um seinen Bedarf an hoch qualifizierten Talenten zu decken.
Insgesamt hat die chinesische Wirtschaft bei der Industrieautomatisierung noch einen großen Nachholbedarf. Deshalb sucht sie weltweit nach Partnern mit Erfahrung in Robotik, Industrie 4.0 und Industrial IoT. Deutschland gilt in diesen Bereichen immer noch als führend. Gerade weil sich China in einem Wandlungsprozess befindet, bieten sich viele Anknüpfungspunkte für deutsches Know-how. Chinas jüngste Reformen der Auslandsinvestitionen sind ein weiterer Schritt in die richtige Richtung und adressieren auch die Sorgen ausländischer Unternehmen zu erzwungenem Technologietransfer, Schutz geistigen Eigentums und öffentlicher Beschaffung. Es muss sich aber erst zeigen, wie dies in der Praxis tatsächlich umgesetzt wird. Entscheidend sind gleiche und transparente Regeln für alle Marktteilnehmer.