Arbeitswelt 4.0 ermöglicht mehr Freiheiten – Fraunhofer IAO

Digitalisierung

Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer, geschäftsführender Leiter, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart und Dr. rer. pol. Ulrich P. Hermani, Senior Advisor, STAUFEN.AG

Wie wird sich die fortschreitende Digitalisierung auf die Arbeitswelt im Maschinenbau auswirken?

Hermani: Industrie 4.0 wird die Arbeitswelt im Maschinenbau gravierend verändern. Die Digitalisierung wird fundamentale Auswirkungen auf Arbeitsinhalte, Arbeitsorganisation und Qualifikationen haben. Es wird zu Umschichtungen bei Tätigkeiten und Arbeitsplätzen kommen. Einerseits können die Unternehmen durch die Digitalisierung ihre Flexibilität und Produktivität steigern und neue Geschäftsfelder erschließen. Andererseits bietet die Digitalisierung den Beschäftigten mehr Möglichkeiten für das mobile und agile Arbeiten, also das ortsunabhängige und zeitlich flexible Arbeiten, und damit eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Bauer: Das ist ein wichtiger Punkt für die künftigen Arbeitsbeziehungen. Unsere hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen heute mehr Wahlfreiheiten haben, wann und wo sie arbeiten. Freiräume, die Freelancer und Crowdworker heute schon haben, werden auch von den abhängig Beschäftigten gefordert. Diesen Herausforderungen müssen die Unternehmen sich stellen und entsprechende flexible Arbeitsmodelle ermöglichen.

Liegt darin nicht auch die Gefahr, dass die Beschäftigten Grenzen überschreiten und sich überfordern?

Bauer: Wir können den Beschäftigten zutrauen, dass sie das Handling des eigenen Zeitbudgets stärker als bisher selbst organisieren. Es gibt eine hohe Kompetenz und Bereitschaft, Verantwortung für die eigene Beschäftigungssituation zu übernehmen. Sowohl in Bezug auf die Erhaltung der eigenen Beschäftigungsfähigkeit – Stichwort: lebenslanges Lernen und Kompetenzaufbau – als auch im Hinblick auf die eigene Arbeitssituation und die Arbeitsbedingungen.Wir müssen zu einer neuen Arbeitskultur kommen. Kernpunkte sind in diesem Zusammenhang u. a. Arbeitszeitregelungen, Erholungszeit und Verfügbarkeitsmanagement.

Welche Rolle kommt dabei den Führungskräften zu? 

Hermani: Die Führungskräfte müssen einerseits darauf achten, dass sich die Mitarbeiter nicht übernehmen, müssen ihnen aber zugleich Freiheiten beim Zeitmanagement einräumen. Wenn wir betriebliche Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeiter in Einklang bringen, entsteht daraus eine Win-win-Situation. Die Beschäftigten können ihre Work-Life-Balance verbessern, die Unternehmen können ihre Kapazitäten besser auslasten.

Bauer: Wir müssen die Freiheit des Einzelnen mit Vorsorge- bzw. Aufmerksamkeitsmanagement des Unternehmens verbinden, mit einer zentralen Rolle der Führungskräfte. Wir benötigen eine Kultur der Sensibilität und des Vertrauens bei den Führungskräften, die nicht mehr durch Ansagemanagement, sondern eher durch Beobachtungsmanagement geprägt ist: Sie schauen, ob die Mitarbeiter mit der hohen Zeitsouveränität zurechtkommen und Arbeitsergebnisse in zeitlicher wie auch qualitativer Hinsicht wie gewünscht erzielt werden.

Haben wir diese Führungskräfte heute schon?

Hermani: In der Arbeitswelt 4.0 kommt auf die Führungskräfte eine Fülle von neuen Aufgaben zu. Sie müssen sich permanent verändernde Netzwerke managen, sich auf neue Prozesse und Führungssituationen einstellen, ihre Beziehungs- und Netzwerkkompetenz ausbauen. Sie müssen als Netzwerkgestalter hoch qualifizierte Wissensarbeiter führen, sich auf neue Bedürfnisse und das Wertesystem der „Generation Y und Z“ einstellen. Das verlangt einen neuen Führungsstil. Fehlendes Wissen der Führungskräfte sehen 74 Prozent der 2016 an einer Umfrage der Staufen AG beteiligten Unternehmen als sehr großes oder großes Hindernis auf dem Weg zu Industrie 4.0 in Deutschland an.

Bauer: In der großen Masse – besonders in der mittleren Ebene – haben wir diese Führungskräfte noch nicht, die sich auf veränderte Führungssituationen einstellen können. Wo sollen sie auch herkommen? Die Führungskräfte müssen in Zeiten der digitalen Transformation und des zunehmenden Einsatzes kognitiver Systeme mitgenommen werden. Hierbei sind insbesondere digitale Führungsinstrumente gefragt und es sind Kompetenzen für mobiles und vernetztes Arbeiten zu entwickeln.

Müssen für die Arbeitswelt 4.0 nicht auch gesetzliche und tarifpolitische Regelungen angepasst werden?

Hermani: In der Tat müssen Gesetze und Tarifverträge angepasst werden. Denken wir nur an die Einhaltung einer Mindestruhezeit von elf Stunden im Arbeitszeitgesetz. Oder: Wenn ein Mitarbeiter aus freien Stücken nach 19 Uhr arbeitet, kann er keinen tariflichen Zuschlag für Nachtarbeit beanspruchen. Dabei sollte möglichst viel auf der betrieblichen Ebene in Betriebsvereinbarungen und in direkten Vereinbarungen zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter geregelt werden. Dort ist das Wissen über die Bedürfnisse von Betrieb und Beschäftigten vorhanden. Den Unternehmen sollten keine neuen Fesseln durch den Gesetzgeber und die Tarifparteien angelegt werden.

Bauer: Das sehe ich genauso. Mir ist es lieber, dass die Dinge im betrieblichen Kontext vernünftig, schnell, agil und zeitgerecht gelöst werden. Je weiter wir nach oben in die Systeme hineingehen, desto länger dauert es dann auch und desto weniger agil, weniger an die Marktsituation angepasst wird es dann. Die Tarifpartner müssen zwar einen gewissen Rahmen setzen, die Betriebe müssen aber die Arbeitszeit selbst organisieren.

Freiräume, die Freelancer und
Crowdworker heute schon haben, werden auch von den abhängig Beschäftigten
gefordert.

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