„Hört nicht auf, Eure Supply Chains resilienter zu machen!“ So lautete der eindringliche Appell einer Expertenrunde, die sich am 22. März auf Schloss Köngen zum halbjährlich stattfindenden Management-Dialog der Staufen AG traf. Hintergrund der Mahnung: Auch nach drei turbulenten Jahren sind die Supply Chains noch nicht zur Ruhe gekommen. Statt sich falschen Hoffnungen auf eine baldige Marktberuhigung hinzugeben, sollten Unternehmerinnen und Unternehmer jetzt in die Offensive gehen: vernetzt denken und in gesetzlichen Vorgaben Chancen erkennen!
„Wie schnell neue Krisen quasi aus dem Nichts hochkochen, haben Ende März die Turbulenzen um die Credit Suisse am Schweizer Finanzplatz gezeigt. Dass solche Ereignisse sich massiv auf die Realwirtschaft und ihre Supply Chains auswirken, konnten wir in den letzten Jahren eindrucksvoll beobachten.“ Mit diesen Worten machte Thomas Spiess, Senior Manager der Staufen.Inova in seinem Eingangsvortrag die Dringlichkeit des Themas klar.
Mehr Resilienz durch Transparenz im gesamten Supply-Chain-Netzwerk
Mit Achterbahnfahrten in der Wertschöpfungskette hat auch Referent Marco Furter, COO beim führenden Schweizer E-Bike-Hersteller Flyer, in den vergangenen Jahren seine Erfahrungen gemacht. Noch stärker als viele andere Branchen hatten die E-Bike-Produzenten mit sogenannten Bullwhip-Effekten zu kämpfen. Auslöser war die Coronapandemie mit einem E-Bike-Boom bei den Kunden in Europa. Wer ein Fahrrad mit Elektromotor haben wollte, bekam die Folgen zu spüren und musste Lieferzeiten von bis zu zwei Jahren hinnehmen. Bis heute sind die Verwerfungen nicht ausgestanden. Denn obwohl es immer noch lange Lieferzeiten von bis zu 14 Monaten zum Beispiel für bestimmte Shimano-Schaltungen gibt, sind bei vielen Herstellern und Händlern die Lager für andere Fahrradteile wieder voll – allerdings schwächelt jetzt der Käufermarkt.
Flyer strebt daher nach mehr Resilienz durch eine Optimierung der Supply Chain und hat dabei das gesamte Netzwerk vom Lieferanten bis zum Kunden im Blick. „Die Bike-Branche hat bisher so funktioniert wie die Modebranche. Jedes Jahr ein neues Modell. Heute orientiert sich Flyer mehr an der Automobilbranche.“ Das Unternehmen führt daher nun Generationenmodelle ein, setzt auf Re-Shoring und vor allem auch auf eine genauere Planung. Mit Unterstützung von Staufen.Inova will der Schweizer Hersteller Transparenz schaffen. „Wir prüfen viel intensiver die Situationen in der Supply Chain, führen jetzt wöchentliche Gespräche mit den wichtigsten Lieferanten und analysieren stärker als früher auch die Nachfrageseite, um Sicht für drei Jahre zu schaffen“, beschrieb Marco Furter den etwa 60 anwesenden Entscheiderinnen und Entscheidern aus der deutschen Industrie die Reaktionen seines Unternehmens auf die Verwerfungen der letzten Jahre.
Gastgeberstatements
Datendurchgängigkeit bis zur Tier-n-Ebene
Eine optimierte Planung wird für Unternehmen immer wichtiger, so die Erfahrung von Thomas Spiess. Der Berater hat in zahlreichen Projekten von Staufen und Staufen.Inova beobachtet: Unternehmen müssen Transparenz schaffen und ihre Supply Chain analysieren. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Austausch von Daten. Welche Vorteile die Digitalisierung hier bietet, erklärte Daniela Isin, bei der BMW Group verantwortlich für Prozesse, Digitalisierung im Einkauf und Lieferantennetzwerk: „Schritt für Schritt digitalisieren wir gerade unsere Lieferkette, um resilienter zu werden.“ Ziel sei dabei eine End-to-End-Datendurchgängigkeit bis hin zur Tier-n-Ebene. Bei 3.500 Lieferanten allein auf Tier-1-Ebene an 5.000 Standorten eine Herkules-Aufgabe, weshalb auch Advanced Analytics und KI unterstützen sollen.
„Uns ist aber klar: Digitalisierung allein verbessert keine Supply Chain. Die Mitarbeitenden müssen mitgenommen werden“, betonte Isin. „Das kann nur durch einen Mindset-Shift gelingen, mit agilen Strukturen, Kollaboration, Co-Kreation und Vertrauen. Letzteres ist besonders wichtig, denn schließlich tauschen alle Partner in der Lieferkette Informationen aus und werden quasi gläsern.“
Teilnehmerstatements
Regulierung macht Lieferketten stabiler
Die Digitalisierung der Supply Chain unterstützt auch bei der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben zum Schutz der Umwelt sowie der Menschen- und Kinderrechte entlang globaler Lieferketten. Hier setzte Matthias Führich in seinem Vortrag an. Der auf internationales Wirtschaftsrecht und internationale Handelspolitik spezialisierte Rechtsanwalt bei der IHK Stuttgart machte deutlich, dass nicht nur Unternehmen mit über 3.000 Mitarbeitenden betroffen sind vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das im Januar 2023 in Kraft getreten ist. Auch kleine Betriebe würden aufgrund der Tatsache, dass sie zur Lieferkette großer Kunden gehörten, in die Pflicht genommen werden. „Kein Unternehmen wird sich dem entziehen können. Und die Regulierung geht ja noch weiter. So wird die demnächst anstehende EU-Lieferkettenrichtlinie weitere Anforderungen an die Unternehmen stellen und die könnten bei Nichteinhaltung der Vorgaben sogar mit einer zivilrechtlichen Haftung verbunden sein.“
Natürlich sei es sehr veilschichtig, alle Glieder der Kette ständig im Auge zu behalten. Dennoch riet Führich den Unternehmen: „Schaut auch auf die Chancen, die Euch die Regulierung bringt! Ein genaues Monitoring der Supply Chain im Rahmen gesetzlicher Vorgaben macht die Lieferketten stabiler und die Risiken verkraftbarer. Scheut Euch also nicht, einfach mal anzufangen!“
Es wird nicht mehr sein wie früher
Es gab also viele Denkanstöße von allen Referentinnen und Referenten diesem gelungenen Management-Dialog, der von Canan Jungel, Principal bei Staufen, moderiert wurde. Auch bei dem anschließenden Wine & Talk zeigte sich, dass allen Teilnehmenden an diesem Abend klar geworden ist: Die turbulenten Zeiten werden so bald nicht vorbei sein und ganz sicher wird es danach nicht mehr sein wie früher – die nächste Supply-Chain-Krise kommt mit Sicherheit. Daher ist konsequentes Handeln im Sinne eines Supply-Chain-Netzwerks geboten.
Supply chains: Auch beim Best Practice Day 2023 ein Top-Thema
Der BestPractice Day, Europas führender Lean Management-Kongress, ist zurück – vom 27. bis 29. Juni live in Darmstadt. Unter dem Motto „Resilienter, flexibler, effizienter – Die Neuorganisation der Wertschöpfungsnetzwerke“ werden über 30 hochrangige Expert*innen aus Wirtschaft, Industrie und Wissenschaft ihre Benchmark-Beispiele präsentieren.