Spurstabilität statt Achterbahnfahrt 

staufen magazine 2023/2024 | No. 6 | FLYER AG | Supply Chain Network Management

In der Corona-Pandemie bestellten Fahrradhersteller so viele Komponenten bei ihren Zulieferern, dass diese nicht mehr hinterherkamen. Die Folgen spürt die Zweiradbranche bis heute. E-Bike-Hersteller FLYER nutzt die Erfahrungen, um das eigene Supply-Chain-Netzwerk transparenter und resilienter aufzustellen. 

Nicht nur in der Stadt, auch in ländlichen Gebieten schwingen sich immer mehr Menschen aufs Rad und legen damit auch längere Strecken zurück. Grund dafür ist der unaufhaltsame Siegeszug der E-Bikes. Schon jedes zweite verkaufte Fahrrad in Deutschland hat heute einen Elektromotor. Jahrelang gab es die hochwertigen Räder kaum zu kaufen. Grund dafür war die Pandemie. Denn während der Coronazeit kämpften Unternehmen in der Branche wie der Schweizer E-Bike-Hersteller FLYER mit großen Problemen im Supply-Chain-Netzwerk. „Wir fühlten uns häufig wie auf einer Achterbahnfahrt“, erinnert sich Chief Operating Officer Marco Furter. 

Bis zu 24 Monate Lieferzeit für eine Gangschaltung 

Während die Nachfrage schon vor Corona kontinuierlich gewachsen war, schlug sie zu Beginn der Pandemie ein „wie ein Blitz“, so Furter: „Sport stand plötzlich im Mittelpunkt. Jeder wollte sich an der frischen Luft bewegen.“ Doch die Freude des Herstellers über die vollen Auftragsbücher wurde schnell getrübt. „Die Lieferanten waren mit globalen Bestellungen eingedeckt und die Lieferzeiten explodierten.“ So betrug die Lieferzeit für einen E-Bike-Rahmen beispielsweise 12 Monate, für Gangschaltungen sogar bis zu 24 Monate. Aus Angst, der Nachfrage nicht gerecht zu werden, hatten die Händler eine viel größere Zahl an E-Bikes geordert und die Hersteller mehr Komponenten als benötigt bei den Zulieferern bestellt. Das führte zu Lieferengpässen und zu stark steigenden Preisen bei den E-Bikes. 

Zwar pendeln sich die Lieferzeiten nun langsam wieder auf ein normales Maß ein. Doch die Branche spürt die Nachwehen des Pandemiebooms bis heute: Die Lager der Händler sind voll, die Modelle mehrerer Jahrgänge stehen nebeneinander zum Verkauf. Denn alles, was Händler und Hersteller während der Pandemie zunächst vergeblich bestellten, mussten sie dann, als alles lieferbar war, größtenteils auch abnehmen. „Wir hätten vorsichtiger und strukturierter planen müssen, denn alle wussten, dass man die Welle nicht ewig reiten kann, aber keiner wollte zu früh absteigen“, sagt Marco Furter rückblickend. 

Marco Furter,
Chief Operating Officer bei FLYER AG

Wir hätten vorsichtiger und strukturierter planen müssen, denn alle wussten, dass man die Welle nicht ewig reiten kann, aber keiner wollte zu früh absteigen.

Marco Furter
Cief Operating Officer, Flyer AG

Vorbild Automobilhersteller: Generationen- statt Jahresmodelle 

Flyer hat aus den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre klare Konsequenzen gezogen. Gemeinsam mit Staufen.Inova hat der Hersteller mit der Optimierung seines Supply-Chain-Netzwerks begonnen. So hat sich FLYER beispielsweise von Jahresmodellen verabschiedet. COO Furter: „In der Bike-Branche ist es bisher üblich, jedes Jahr neue Modelle auf den Markt zu bringen. Wir orientieren uns nun stärker an der Automotive-Branche und bieten sogenannte Generationenmodelle an, die mehrere Jahre auf dem Markt sind und unterschiedlich lange Lebenszyklen haben.“ 

Die Zulieferer für Bike-Komponenten sitzen zum überwiegenden Teil in Taiwan, China und Vietnam, entsprechendes Know-how ist in Europa kaum noch vorhanden. FLYER plant nun mit einem Rahmenhersteller ein Projekt in Europa. Durch Re-Shoring hofft der Hersteller bei künftigen Produktionen 6 bis 8 Wochen Zeit zu sparen und mehr Resilienz im Supply-Chain-Netzwerk zu schaffen. 

Auch das Geschäftsmodell des Herstellers wurde angepasst: Aus „Make-to-Order“ wurde eine Hybridlösung mit „Make-to-Stock“-Anteilen, basierend auf einem systematischen Sales-&-Operations-Planning-Ansatz. Monatliche Überprüfungen sorgen für eine abgestimmte und einheitliche Planung für die nächsten 18 Monate. „Dazu wird sowohl die Situation in den eigenen Montageabteilungen als auch die Lieferperformance der Lieferanten sehr genau analysiert“, sagt Thomas Spiess, Senior Manager bei Staufen.Inova. Statt nach Bauchgefühl wird jetzt anhand von Marktinformationen und Daten aus Forecasts entschieden, welche Modelle und Konfigurationen forciert werden und wie die Einphasung und Ausphasung von Modellen optimal synchronisiert werden kann. Ein neu etabliertes Product-Lifecycle-Management schafft zudem die Sicht auf die nächsten 36 Monate. „Früher war unser Planungshorizont eher unstrukturiert. Jetzt gehen wir auch längerfristige Entscheidungen sehr strukturiert an und überlegen, wo wir mit FLYER hinwollen und wie wir dieses Ziel erreichen“, so FLYER-COO Furter. Bis spätestens 2025 sollte sich dann auch der Bike-Stau in den Läden und Lagern endgültig aufgelöst haben. 


Interview mit Marco Furter, COO Flyer AG

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Das Unternehmen

FLYER ist ein Schweizer Hersteller von E-Bikes und hat seinen Sitz in Huttwil (Kanton Bern). In der Schweiz ist FLYER Marktführer für E-Bikes. Pro Jahr verkauft das Unternehmen zwischen 70.000 und 90.000 E-Bikes in Europa, ungefähr die Hälfte davon in Deutschland. 

1995

Gründung

350

Mitarbeitende

480

E-Bikes pro Tag

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