

Supply Chain Management bei Bosch:
„End-to-End-Prozesse maximieren die Wertschöpfung“Was tun, wenn Störungen globaler Lieferketten drohen und Kunden rund um den Globus auf Nachschub angewiesen sind? Die Antwort von Bosch:
Echtzeittransparenz, Frühwarnsysteme und ausgebildete Task-Forces helfen, Krisensituationen vorzubeugen und zu bewältigen. Dr. Arne Flemming, Leiter Supply Chain Management bei Bosch, erklärt im Interview, wie das Unternehmen mithilfe der Digitalisierung seine Lieferketten steuert und aktuellen Herausforderungen begegnet.

Interview mit Dr. Arne Flemming, Leiter Supply Chain Management bei Bosch
Herr Dr. Flemming, wie hat sich die Bedeutung des Supply Chain Management in den vergangenen Jahren verändert?
„Globale Marktengpässe und vor allem die Coronapandemie haben gezeigt, dass stabile Lieferketten die Basis für eine funktionierende Wirtschaft sind. Für Bosch gilt daher schon immer, sich auch im Supply Chain Management frühzeitig auf neue Entwicklungen im Welthandel und mögliche Störungen von Zulieferketten einzustellen. Dabei geht es um eine Strategie, die in der Lage ist, zwischen Leistung und Kosten zu balancieren. Ziel ist es, für unsere weltweiten Werke und Kunden eine hohe Verfügbarkeit von Komponenten, Rohstoffen und Produkten sicherzustellen. Und das zu wettbewerbsfähigen Kosten. Damit leistet unser Supply Chain Management seinen Beitrag zur Robustheit globaler Lieferketten.“

Zur Person
Dr. Arne Flemming ist Leiter Supply Chain Management bei Bosch. In dieser Funktion verantwortet er die Lieferkettensteuerung der Bosch-Gruppe mit weltweit rund 32.000 Mitarbeitenden in den Teilbereichen Einkauf und Logistik.
Wo setzen Sie konkret an, um Ihre Supply Chain zu optimieren?
„Bosch hat heute bereits einen hohen Digitalisierungsgrad in seinen Lieferketten, um in Echtzeit Transparenz über Bestände und Bedarfe zu erhalten – von der Beschaffung über die Fertigung bis zum Kunden. Dadurch sichern wir uns stetige Effizienzsteigerungen, etwa aus Netzwerkeffekten und dem intelligenten Einsatz von Ressourcen. Zudem stärken wir regionale Lieferkettenfunktionen, da wir eine „Local for local“-Strategie verfolgen – wir fertigen dort, wo unsere Kunden sind. Das verkürzt und stabilisiert Lieferketten, auch wenn wir dadurch im globalen Verbund mehr Komplexität handhaben müssen.“
Echtzeitdaten und digitale Steuerungsmechanismen werden immer wichtiger. Erklären Sie uns bitte das Konzept der „Digital Control Tower“ bei Bosch?
„Solide und qualitativ hochwertige Daten sind auch für uns die Grundlage einer vorausschauenden Lieferkettensteuerung. Dazu bilden wir unsere Supply-Chain-Daten nahezu in Echtzeit in einem zentralen Datenpool ab, der von verschiedenen Geschäftsbereichen genutzt wird. Um die Daten richtig zu interpretieren, haben wir sogenannte Digital Control Towers, in denen geschulte Experten und Expertinnen datenbasierte Entscheidungen treffen und komplexe Zusammenhänge erkennen. Mit rund 225 Werken weltweit und Lieferbeziehungen in gut 60 Ländern ist im Falle von globalen Störungen oder Marktengpässen eine übergreifende Steuerung unerlässlich. Ein Beispiel: Bei Blockaden eines Seewegs können wir mittels Echtzeitdaten schnell und effizient reagieren, in dem wir etwa alternative Lieferanten oder Ausweichrouten finden.“
Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Netzwerk aus rund 35.500 Lieferanten und Logistikpartnern mit Ihrer Datenstrategie Schritt hält?
„Die Transparenz über Echtzeitdaten von Lieferanten und Transportdienstleistern sind grundsätzlich für alle Beteiligten ein Wettbewerbsvorteil. Als globales Unternehmen mit einem Einkaufsvolumen von etwa 50 Milliarden Euro im Jahr sind wir ein wichtiger Partner für unsere Lieferanten. Zugleich sind wir durch unsere Technologiekompetenz in der Lage, Marktstandards mit voranzubringen, um eine einheitliche und verlässliche Datenbasis zu schaffen. Aktuell geht es zum Beispiel bei Schiffsverkehrsdaten um die genaue Berechnung von Ankunftszeiten. Unter allen Akteuren wirken wir dazu auf eine engere Verzahnung hin.“
Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz in Ihrer Strategie?
„Mittlerweile steckt KI in jedem Produkt von Bosch oder hat bei seiner Herstellung mitgewirkt. Daher nutzen wir unsere KI-Kompetenz im Unternehmen auch für Einkauf und Logistik. Zum Beispiel hilft uns KI etwa in Lieferanten-Hotlines zur Spracherkennung oder im Qualitätswesen bei der Extraktion von Daten aus Zeichnungen und Spezifikationen. Darüber hinaus testen wir regelmäßig vielfältige Einsatzmöglichkeiten von KI – zum Beispiel für Volumenprognosen oder für automatisierte Vertragsanalysen. Für mich bleibt bei aller Innovation allerdings der Mensch entscheidend: Wir brauchen Expertinnen und Experten, die KI verstehen und sinnvoll einsetzen.“
Was sind die drei zentralen Faktoren für ein resilientes Supply Chain Network?
„Für ein vorausschauendes Supply-Chain-Risk-Management zählt erstens die Transparenz. Echtzeitdaten und Frühwarnsysteme helfen, auf Risiken frühzeitig reagieren zu können. Zweitens ist Flexibilität wichtig, um mit alternativen Lieferwegen und Lieferanten über ausreichend Ausweichmöglichkeiten zu verfügen. Drittens ist eine eng zusammenarbeitende Organisation aus Einkauf und Logistik entscheidend. Engpässe lassen sich dann schnell meistern, wenn datenbasierte Entscheidungen durch Task-Forces auf globaler, regionaler und lokaler Ebene effektiv umgesetzt werden.“
Wie gehen Sie mit Silodenken um? Gerade im Supply Chain Management müssen sehr unterschiedliche Bereiche eingebunden werden.
„Wir können es uns nicht leisten, in Silos zu denken. Ein gemeinschaftliches Verständnis vom Supply Chain Management sorgt bei Bosch für ein erfolgreiches Teamspiel der Teilfunktionen Einkauf und Logistik. Die übergreifende Zusammenarbeit ergibt sich bereits aus unserem Ansatz, Logistik und Einkauf in End-to-End-Prozessen umzusetzen. Das maximiert die Wertschöpfung. Daneben ist es aber genauso wichtig, die fachliche Expertise der jeweiligen Teilfunktionen immer weiter auszubauen. Dafür gibt es Experten-Communitys, die sich intensiv austauschen, sich untereinander helfen und gegenseitig von ihren Erfahrungen profitieren. Und das funktioniert sehr gut, gerade weil wir sie nicht alle zu einer großen Supply-Chain-Community verschmelzen.“




Pascal Kolb
Ein vorausschauendes Supply-Chain-Risk-Management erlaubt es, auf Risiken frühzeitig zu reagieren. Dazu braucht es vor allem Transparenz über Bestände in Echtzeit und einen partnerschaftlichen Umgang aller Beteiligten einer Lieferkette – vom Lieferanten bis zum Kunden.Pascal Kolb
Principal, Staufen, part of Accenture

Über Bosch
Die Bosch-Gruppe ist ein international führendes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen mit weltweit rund 417.900 Mitarbeitenden (Stand: 31.12.2024). Sie erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2024 nach vorläufigen Zahlen einen Umsatz von 90,5 Milliarden Euro. Die Geschäftsaktivitäten gliedern sich in die Unternehmensbereiche Mobility, Industrial Technology, Consumer Goods sowie Energy and Building Technology.