8580 – unter diesen vier Ziffern fasst das Deutsche Institut für Normung (DIN) sechs Fertigungsverfahren zur Herstellung fester Körper zusammen. Eines davon, das „Umformen“, findet sich im bayerischen Denklingen in all seinen Facetten. „Hier im Stammwerk der Hirschvogel Group decken wir das gesamte Spektrum ab: von der klassischen Handarbeit mit Greifzangen an Handschmieden über vollautomatische Anlagen, die servogesteuert ihre Geschwindigkeit anpassen, bis zu Industrie 4.0 und optimierten Prozessschritten samt KI-Unterstützung“, sagt Markus Obholzer, Werkleiter in Denklingen und damit Vorgesetzter von fast 2.000 Mitarbeitenden.
Im weltweit größten zusammenhängenden Werk für Massivumformung wird deutlich: DIN 8580 steht nicht für rohe Gewalt, sondern für die Kunst, aus einer sechs Meter langen Metallstange Hunderte oder gar Tausende präzise gefertigte Bauteile zu formen. Genau wie in der Kunst gibt es auch für den Umformer keinen Ausbildungsberuf. „Zerspaner, Dreher oder Schweißer sind klassische Industrieberufe mit IHK-Abschluss. Aber der Umformer als Lehrberuf existiert nicht. Deshalb haben wir eine sehr breit gefächerte Belegschaft mit unterschiedlichen beruflichen Werdegängen. Das heißt aber auch: Das Wissen, das die Mitarbeitenden im Werk sammeln und weitergeben, ist unser größtes Kapital“, so Obholzer.
Wer Markus Obholzer beim Gang durch die Werkhallen begleitet, erlebt eine Lehrstunde in Sachen Walk the Talk – trotz Gehörschutz, der hier fast überall Pflicht ist. Denn Augenhöhe funktioniert eben auch mal ohne viele Worte, wenn nebenan die 25 Millionen Euro teure Hatebur-Presse pro Minute 70 noch rot glühende Teile für die Automobilindustrie ausspuckt. Egal ob Getriebewellen, Differential-Kegelräder oder die Radträger für die Hinterachse, Hirschvogel produziert für nahezu alle großen Automobilhersteller und deren Systemlieferanten.
Markus Obholzer, Werkleiter in Denklingen
Das Wissen, das die Mitarbeitenden im Werk sammeln und weitergeben, ist unser größtes Kapital.
MARKUS OBHOLZER
WERKLEITER, HIRSCHVOGEL Umformtechnik GmbH
Technologie- und Kostenführerschaft im Fokus
Dank der Kombination aus Erfahrung und modernsten Produktionsanlagen gilt Hirschvogel weltweit als Technologieführer. Doch mit dem Wandel vom Verbrennungsmotor zum E-Auto ändern sich die Anforderungen: Der Antriebsstrang benötigt weniger Teile, die Volatilität auf der Nachfrageseite nimmt zu, ein verschärfter Preiskampf kommt obendrauf. Deshalb war klar: „Um den Standort Denklingen in seiner jetzigen Größe langfristig zu erhalten, müssen wir uns schon heute für morgen aufstellen. Damit diese Strategie konsequent umgesetzt wird, haben wir uns für die Hoshin-Kanri Methode (Anmerkung: Japanisch für „Kompassmanagement“) entschieden, wussten aber, dass wir ein Veränderungsprojekt dieser Größenordnung nur mit einem erfahrenen Partner umsetzen können. Dafür haben wir die Staufen AG als Berater an Bord geholt“, erläutert Werkleiter Obholzer.
Die Technologieführerschaft von Hirschvogel auszubauen und dabei gleichzeitig die Kostenführerschaft zu erreichen, ist eine Herausforderung ganz nach dem Geschmack von Uwe Vogel, Partner bei der Staufen AG. „Die Neuausrichtung eines Werks mit 9 Abteilungen, 20 Fertigungsbereichen und rund 50 Meistereien ist eine sehr reizvolle Aufgabe“, schwärmt der erfahrene Hoshin-Kanri-Experte. „Vor allem dann, wenn man auf Partner vor Ort trifft, die rechtzeitig und konsequent für ihre Zukunftsfestigkeit sorgen.“
Links: Markus Obholzer, Werkleiter in Denklingen
Rechts: Uwe Vogel, Partner, STAUFEN.AG
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Anfang an einbeziehen
Die Entscheidung für Hoshin Kanri fiel also aus einer Position der Stärke heraus, aber vor dem Hintergrund einer notwendigen Neuausrichtung. Gemäß dem Unternehmensmotto „Traditionally Innovative“ wurde ein Konzept entwickelt, das fünf Hauptziele vereint:
- Arbeitsplätze erhalten! Die Hirschvogel Umformtechnik will attraktive Arbeitgeberin in der Region bleiben, auch wenn in Zukunft nicht mehr so viele Komponenten für Verbrennungsmotoren benötigt werden.
- Green Business ausbauen! Die Fertigung von Komponenten z. B. für Elektromotoren läuft bei Hirschvogel im Bereich Green Business, der weiter wachsen soll.
- Produktivität stärken! Durch eine gezielte Automatisierung und Optimierung der Prozesse sollen mehr Bauteile in weniger Stunden produziert und an den Kunden geliefert werden. Gleichzeitig gilt es, die Kosten zu senken.
- Liefertreue erhöhen! Der Kunde bleibt im Fokus, er soll in Zukunft noch zuverlässiger beliefert werden.
- Lagerbestände reduzieren! Vor dem Hintergrund eines zunehmend volatiler werdenden Marktes werden hohe Lagerbestände zu einem finanziellen Risiko. Ziel ist daher eine optimierte Lagerhaltung bei gleichzeitiger Verkürzung der Durchlaufzeiten.
Mit dem Hoshin-Kanri-Projekt hat auch eine neue Unternehmenskultur bei Hirschvogel Einzug gehalten. War der Blick auf das
riesige Stahllager zwischen den Hallen früher von Stolz auf den sich darin manifestierenden Erfolg geprägt, so ist es für Obholzer heute wichtig, die Bestände niedrig zu halten und für Klarheit und Übersichtlichkeit zu sorgen, sowohl optisch als auch in der Ablauforganisation. In der neuesten Halle wird die Fertigungslinie daher von Anfang an so aufgebaut, dass „historisch gewachsene“ Ineffizienzen wie das Transportieren von Werkstücken von einer Hallenecke in die andere und wieder zurück künftig ausgeschlossen sind.
Obholzer sieht die Entwicklung: „Am Anfang der Transformation ging es vor allem darum, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
abzuholen und die lösungsorientierte Zusammenarbeit zu stärken. Probleme werden nicht mehr eskaliert, sondern direkt an der
Quelle gelöst. Mittlerweile setzen wir kontinuierlich Optimierungsaktivitäten um und können den Erfolg in den Reportings ablesen.“
Ein digitales Herz für operative Exzellenz und effiziente Führung
Parallel zur Prozessoptimierung wird in Denklingen die Digitalisierung vorangetrieben. So sind es von Markus Obholzers Büro nur wenige Meter zu einem digitalen Teamboard, auf dem mithilfe der Software ValueStreamer alle wichtigen Kennzahlen visualisiert werden. Dieses digitale Shopfloor Management bildet das Herzstück für operative Exzellenz und effiziente Führung bei Hirschvogel und hat laut Obholzer auch Vorbildcharakter für andere Bereiche: „Wir haben in Echtzeit Zugriff auf unsere Zahlen und können die Daten gemeinsam mit angrenzenden Bereichen wie Instandhaltung, Qualität oder Produktentwicklung nutzen.“ Das Ziel: End-to-End-Standards etablieren, die durchgängig als Steuerungs- und Führungsinstrument genutzt werden.
Dr. Christian Hinsel, als Vice President der Hirschvogel Holding konzernweit verantwortlich für das Thema Operational Excellence, kann dies nur unterstreichen: „Die Prinzipien und Methoden von Lean und Operational Excellence sind gerade in Zeiten volatiler Marktentwicklungen von enormer Bedeutung. Operational Excellence ermöglicht es uns, die Produktivität kontinuierlich zu steigern und die Bestände zu optimieren.“
Neu denken und bewährt handeln
Auch Werkleiter Markus Obholzer zieht ein positives Fazit: „Wir haben unsere Arbeitsweise in vielerlei Hinsicht umgestaltet und streben eindrucksvolle Verbesserungen an, z. B. die Halbierung der Bestände bei gleichbleibend hoher Liefertreue oder die Halbierung der Durchlaufzeiten. Wir konnten unsere Konzernvision um die Prämisse ‚neu denken, bewährt handeln‘ erweitern. Das ist keine hohle Phrase, sondern gelebte Veränderung, mit der wir die Zukunft des Standorts und der Hirschvogel-Kultur sichern.“
Das Unternehmen
1938 gründet der Ingenieur Willy Hirschvogel mit seinen Brüdern Anton und Hans in Denklingen die „Hammerwerk Hirschvogel OHG“. Erstes Umformaggregat ist ein gebrauchter Brettfallhammer. Heute ist Hirschvogel Entwicklungspartner und Fertigungsspezialist für Automobilkomponenten aus Stahl und Aluminium. Die unabhängige Unternehmensgruppe in Familienbesitz beschäftigt rund 6.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an weltweit 9 Produktionsstandorten. Der Gesamtumsatz lag im Jahr 2023 bei 1,5 Milliarden Euro.
9
Produktions-standorte
1938
Gründungs-
jahr
6.500
Mitarbeitende weltweit
1,5
Mrd. € Umsatz
Uwe Vogel
PartnerSTAUFEN.AG
Uwe Vogel ist Diplom-Ingenieur für Maschinenbau, systemischer Coach und Organisationsentwickler und bei der Staufen Akademie als Trainer tätig. Uwe Vogel gilt als führender Experte im Bereich Strategie, Vertrieb und Service. Er leitete zahlreiche ganzheitliche internationale Transformationsprogramme in Konzernen diverser Branchen und verfügt über 20 Jahre internationale Managementerfahrung in der Werkzeugmaschinenindustrie (u. a. als Geschäftsführer TRUMPF Asia Pac 2001–2008).
Uwe Vogel ist seit vielen Jahren Berater in ergebnisorientierter Konzeption und Umsetzung strategischer Initiativen (Lean Transformation, Restrukturierung, strategische Neuausrichtung). Auch als Coach für das Top-Management mit ausgeprägtem Markt- und Kundenfokus besitzt er langjährige Erfahrung.
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